Das Vetsche Reich nnd seine einzelnen Glieder. (Mai 12.) 97
12. Mai. (Mecklenburg.) Die Regierungen beider Groß-
herzogtümer legen dem Landtag einen Entwurf zur Verfassungs-
reform vor.
Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt darüber: Am
12. Mai d. J. sind die Landstände der beiden mecklenburgischen Großherzog-
tümer zu einem außerordentlichen Landtage nach Schwerin berufen worden,
um über die Einführung einer von den beiden Regierungen vorgelegten
neuen Verfassung zu beschließen. In der Thronrede, durch welche der
Großherzog von Mecklenburg-Schwerin in Gegenwart des Erbgroßherzogs
von Mecklenburg-Strelitz in feierlicher Weise den Landtag eröffnete, gab
der Großherzog seiner Ueberzeugung Ausdruck, daß eine Neuordnung der
Landesverfassung für die weitere gedeihliche Entwicklung des Landes er-
forderlich sei, da beide Landesherren bei voller Anerkennung des verdienst-
vollen Wirkens der bisherigen Landstände sich nicht der Erkenntnis ver-
schließen könnten, daß der ständischen Verfassung Mängel anhafteten, welche
der Erfüllung wichtiger staatlicher Aufgaben entgegenständen. Vor allem
trage die Zusammensetzung des Landtags der eingetretenen umfassenden
Aenderung der allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der
Bevölkerung keine Rechnung, ein Drittel des Landes, das gesamte Domanium,
entbehre jeder Vertretung auf dem Landtage, und weite Kreise der übrigen
Bevölkerung seien von der Teilnahme an der Erledigung der wichtigsten,
sie berührenden Landesangelegenheiten ausgeschlossen. Je mehr aber der
Kreis der staatlichen Aufgaben in der Gegenwart sich erweitert habe, desto
weniger könne die Regierung die Mitwirkung von Männern entbehren,
die den verschiedensten Lebenskreisen angehören und durch Sachkunde und
Erfahrung besonders berufen seien, das Gesamtinteresse der Bevölkerung
an den Staatsaufgaben zum Ausdruck zu bringen. Die dem Landtage
eemachten Vorlagen berücksichtigten die Anforderungen der Gegenwart,
indem sie auf der Grundlage der eigenartigen, aus der Geschichte hervor-
gewachsenen Verhältnisse Mecklenburgs weiter bauten, damit Fürsorge
treffend, daß eine Erschütterung der inneren Verhältnisse des Landes
durch grundstürzende Veränderungen vermieden werde. Die den Ständen
zugegangenen Vorlagen bestehen aus den Entwürfen eines Landesgrund-
gesetzes nebst Einführungsgesetz und eines Wahlgesetzes für den Landtag,
welchen eine umfängliche Denkschrift beigegeben ist. Diese drei Gesetz-
entwürfe bilden zusammen ein einheitliches Ganzes, in welchem das
Landesgrundgesetz nur insofern einen besonderen rechtlichen Charakter hat,
als es als das eigentliche Verfassungsgesetz erhöhte Garantien genießen
soll, um es gegen voreilige Aenderungen zu schützen. Zu einer Abänderung
dieses Gesetzes soll die Zustimmung von drei Vierteln der gesetzlichen
Mitgliederzahl des Landtages erforderlich sein, zu einer Abänderung der
Vorschriften über die Zusammensetzung des Landtages außerdem noch die
Wiederholung des Beschlusses mit gleicher Stimmenmehrheit in einem
neugewählten Landtage. Die Vorlage bricht mit dem altständischen Prinzip,
welches nur eine Vertretung der ständischen Obrigkeiten (Besitzer der land-
tagsfähigen Rittergüter und Stadtmagistrate) aus eigenem Rechte kannte,
und will die hierauf basierende bisherige Verfassung durch eine Repräsen-
tativverfassung ersetzen nach dem Vorbilde der in allen übrigen monarchischen
deutschen Bundesstaaten bestehenden Verfassungen. Das Landesgrundgesetz
legt zunächst die souveräne Stellung des Landesherrn fest als des alleinigen
Inhabers der gesamten Staatsgewalt auf Grund ureigenen Rechtes und
nicht etwa als Mandatar des Volkes oder der von diesem gewählten Ver-
tretung. Der Landesherr handhabt ferner auch die Staatsgewalt nach
Europäischer Geschichtskalender. XIX. 7