Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1908. (49)

100 HNas PDenisthhe Reithh und seine einzelnen Glieder. (Mai 12.) 
geknüpft. Für die Ordnung der allgemeinen Wahlen hat das Wahlgesetz 
kein gleiches und unmittelbares, sondern ein nach Besitz und Bildung 
abgestuftes und mittelbares (durch Wahlmänner auszuübendes) Wahlrecht 
angenommen. Hinsichtlich der Berücksichtigung des Besitzes entscheidet sich 
das Wahlgesetz „trotz mancher schwerwiegender Bedenken"“ für das preußische 
Dreiklassensystem, jedoch modifiziert in verschiedenen Beziehungen nach dem 
Vorbilde des sächsischen Systems. Bei Berechnung des der Bildung der 
drei Wählerklassen zu Grunde zu legenden Gesamtsteuerbetrages sollen die 
Steuerbeträge der einzelnen Urwähler nur bis zum Betrage von 1400 Mark 
in Ansatz kommen. Ferner sollen zur ersten Abteilung stets alle Urwähler 
mit einem Steuerbetrage von mindestens 200 Mark, zur zweiten Abteilung 
die nächst niedriger besteuerten Urwähler mit einem Steuerbetrage von 
mindestens 23 Mark gehören. Endlich soll, falls in einer Abteilung auf 
einen Wahlmann weniger als fünf Urwähler entfallen, deren Zahl durch 
die nächst niedriger besteuerten Urwähler aus der zweiten oder dritten 
Abteilung bis auf fünf ergänzt werden. Die Abstufung des Wahlrechts 
nach der Bildung will das Wahlgesetz durch Einführung eines Plural-- 
wahlrechts in der Weise bewirken, daß der Besitz des Zeugnisses für den 
einjährig-freiwilligen Militärdienst dem Urwähler eine zweite Stimme 
gewährt. Die Wahlen sollen durch Abgabe offener Stimmzettel erfolgen. 
In bemerkenswerter Weise sucht die Vorlage die bestehenden öffentlich- 
rechtlichen Verhältnisse zu konservieren, soweit dies sich mit den durch die 
neue Verfassung zu schaffenden Zuständen als vereinbar erweist. Hierher 
gehört insbesondere die Beibehaltung des bestehenden inneren Verwaltungs- 
rechts, welches auf der Dreiteilung des Landes in Domanium, Ritterschaft 
und Städte beruht, die Aufrechterhaltung der den einzelnen Ständegliedern 
zustehenden obrigkeitlichen Gewalt mit Einschluß der Polizeigewalt, des 
„inneren Regiments“ der Landstädte und der ihnen zustehenden selbständigen 
Vermögensverwaltung, sowie der Sonderstellung der Seestädte Rostock und 
Wismar, überhaupt, wie es in dem Landesgrundgesetze heißt, der den 
einzelnen Obrigkeiten, Gemeinden und sonstigen Verbänden des öffentlichen 
Rechts auf dem Gebiete der inneren Verwaltung zustehenden Rechte und 
Freiheiten. Hierher gehört schließlich auch der Fortbestand von Ritter- 
und Landschaft als Korporationen des öffentlichen Rechts in ihrer bisherigen 
Organisation mit selbständigen Verwaltungsbefugnissen ohne Teilnahme 
des Landtags in Ansehung ihrer eigenen korporativen Angelegenheiten, 
mögen sie privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur sein, und mit 
dem Rechte der Selbstbesteuerung für die Zwecke ihres Verbandes. Die 
in vorstehendem kurz skizzierten Verfassungsvorlagen stellen sich als ein 
überaus sorgfältig bearbeitetes, sowohl in seinen Grundlagen, als auch in 
allen Einzelheiten wohlerwogenes Gesetzgebungswerk dar, welches überall 
das Bestreben erkennen läßt, den gegenwärtigen Ständen das Eingehen 
auf die Vorschläge der Regierungen zu ermöglichen und zu erleichtern. 
Daß den alten Ständen ein nicht unerheblicher Einfluß auf die Zusammen- 
setzung des neuen Landtags gewährleistet werden soll, erklärt und recht- 
fertigt sich zur Genüge aus ihrer überkommenen maßgebenden Stellung 
im Lande. Im übrigen ist die Bildung des Landtags durch altständische, 
berufsständische und allgemeine Wahlen, wie sie die Regierungsvorlage 
vorschlägt, bereits Gegenstand einer lebhaften Kritik seitens der verschiedenen 
politischen Parteien im Lande geworden und steht neben der schwierigen 
Frage der finanziellen Auseinandersetzung zwischen den Landesherren und 
dem neu zu schaffenden Staatsvermögen auch bei den Beratungen des 
gegenwärtig tagenden außerordentlichen Landtags im Vordergrund des 
Interesses. Möchte es dem patriotischen Zusammenwirken von Landes-
	        
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