Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1908. (49)

90 o# Vernsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 29. 30.) 
29. April. Der Reichstag genehmigt das Vogelschutzgesetz, 
wodurch der Dohnenstieg beseitigt wird. 
30. April. Der Reichstag verweist eine Forderung von 
23 Millionen als Teuerungszulagen für die Beamten bis zu 
4200 Mark Gehalt an die Budgetkommission. 
30. April. Folgende Bedingungen über den Eintritt in den 
diplomatischen Dienst treten in Kraft: 
I. Zulassung. 
§ 1. Die Zulassung zur Vorbereitung für die diplomatische Lauf- 
bahn setzt den Besitz der für den diplomatischen Dienst erforderlichen Eigen- 
schaften voraus, worüber der Reichskanzler nach freiem Ermessen ent- 
scheidet. Sie ist im übrigen bedingt: 1. durch den Nachweis hinreichender 
wissenschaftlicher Kenntnisse; 2. durch das Bestehen einer Vorprüfung in 
der französischen und der englischen Sprache. Der Nachweis hinreichender 
wissenschaftlicher Kenntnisse ist in der Regel durch die erfolgreiche Ablegung 
der ersten juristischen Prüfung in einem Bundesstaate zu erbringen. 
§ 2. Gesuche um Zulassung zum diplomatischen Dienste sind an 
den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes zu richten. Dem Gesuche 
sind beizufügen: ein selbstgeschriebener Lebenslauf, Zeugnisse über abgelegte 
Prüfungen, ein ärztliches Zeugnis über den Gesundheitszustand, eine Er- 
klärung über die Vermögenslage, ein Nachweis über die Militärverhältnisse. 
§ 3. Die Vorprüfung in der französischen und der englischen Sprache, 
die vor einer zu diesem Zwecke bestellten ständigen Kommission unter dem 
Vorsitze des Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes stattfindet, ist eine 
schriftliche und eine mündliche. Die schriftlichen Arbeiten werden unter 
Aufsicht angefertigt. Ueber das Ergebnis der Prüfung entscheidet die 
Prüfungskommission nach Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gibt 
die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Eine mehr als einmalige 
Wiederholung der Vorprüfung findet nicht statt. 
II. Vorbereitungsdienst. 
§ 4. Die Zulassung zum Vorbereitungsdienst und die Verwendung 
darin begründen keinen Anspruch auf Anstellung im diplomatischen Dienste 
oder auf Gewährung von Gehalt, Tagegeldern oder Reisekosten. 
§ 5. Die Vorbereitung umfaßt in der Regel: für Bewerber, welche 
die erste juristische Prüfung in einem Bundesstaate bestanden haben, 
4 Jahre; für Bewerber, welche die zweite juristische Staatsprüfung oder 
die Prüfung für den höheren Verwaltungsdienst in einem Bundesstaate 
bestanden haben, 1 Jahr; für Bewerber ohne juristische Vorbildung 5 Jahre. 
§ 6. Die Vorbereitung erfolgt durch Beschäftigung der Bewerber bei 
den diplomatischen und den konsularischen Behörden, sowie durch Beschäf- 
tigung bei den verschiedenen Abteilungen des Auswärtigen Amtes. Auch 
hat der Bewerber, soweit dies nicht mit Rücksicht auf seine Vorbildung 
entbehrlich erscheint, Vorlesungen über Geschichte, Einführung in die 
Rechtswissenschaft, über Staatsrecht, Völkerrecht und Finanzwissenschaft zu 
hören, sowie an staats= und völkerrechtlichen seminaristischen Uebungen 
teilzunehmen und sich auf wirtschaftlichem Gebiete durch Besuch einer 
Handelshochschule, durch Beschäftigung bei einer Handelskammer, in einem 
Handelshaus oder Bankinstitut oder in sonst geeigneter Weise zu unterrichten. 
§7. Die Bewerber werden, wenn sie sich im Vorbereitungsdienst bewährt 
und diesen mit Erfolg beendet haben, auf ihren Antrag durch Verfügung des 
Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes zur diplomatischen Prüfung zugelassen.
	        
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