Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Dentsche Rei und seine eintelnen Glieder. (Juli 6. 6.) 253 
nur auf rückständigen staatlichen Einrichtungen beruht, so fordert der 
Parteitag: 1. Neueinteilung der Wahlkreise und wirksame Sicherung des 
Wahlgeheimnisses; 2. das Reichstagswahlrecht für Preußen und entsprechende 
parlamentarische Einrichtungen in den andern Einzelstaaten; 3. volle Frei- 
bett der politischen Betätigung für jedermann; 4. volle Unparteilichkeit 
er Behörden allen politischen Parteien gegenüber. Sache des Volkes ist 
es, diesen Kampf aufzunehmen und durch Zusammenfassen aller freiheit- 
lichen Elemente die Reaktion zu überwinden. An alle Parteigenossen 
richten wir die dringende Mahnung, die Entrüstung, die über das un- 
erhörte Gebaren der Reaktion immer weitere Volkskreise ergreift auszunutzen 
und unermüdlich zu arbeiten, damit die nächsten Wahlen, von denen man nicht 
wissen kann, wann sie eintreten, den Sieg des liberalen Gedankens bringen.“ 
In der Erörterung sprach sich Geh. Rat Prof. Dr. Liszt entschieden 
für die Einigung der linksliberalen Fraktionen aus. 
In der Versammlung der Freisinnigen Volkspartei wurde 
nach einem Bericht Wiemers über die politische Lage eine scharfe Resolution 
gefaßt, die das Bürgertum zum Widerstand und zur Abwehr gegen die 
neue politische Koalition auffordert. Auch hier wurde in der Erörterung 
die Frage eines Zusammenschlusses der liberalen Parteien gestreift, doch 
kam es in dieser Beziehung nicht zu bindenden Beschlüssen. 
Die Vorstände der jungliberalen Vereine Mülheim am Rhein 
und Köln haben einstimmig folgende Entschließung gefaßt: „Die Ereignisse 
der letzten Wochen, in denen die Reaktion drohend ihr Haupt erhob, er- 
heischen es, daß die Liberalen aller Schattierungen zu gemeinsamem Handeln 
sich zusammenschließen, weshalb wir den Zentralvorstand der National- 
liberalen Partei dringend bitten, die nunmehr ausgenommene Fühlung 
mit den andern liberalen Gruppen aufrechtzuerhalten und auch in Zukunft 
in allen Fragen möglichst geschlossen vorzugehen.“ 
5. Juli. (Reichstag.) Die von der Finanzkommission ab- 
gelehnte Vorlage über das Erbrecht des Reiches wird auch im 
Plenum bei der zweiten Lesung mit 191 gegen 136 Stimmen ab- 
gelehnt. — Zweite Lesung der Weinsteuer. 
Die Kommission beantragt Ablehnung und eine Erhöhung der Schaum- 
weinsteuer. Vom Abgeordneten Graf Kanitz (kons.) und Abgeordneten 
Schultz (Rp.) liegt ein Antrag vor, eine Steuer für Weine und Trauben- 
most im Werte von mehr als 40 Mark für das Hektoliter in Höhe von 
7½ Pfennig pro Liter zu erheben. Für Flaschenwein soll ein Steuer- 
zuschlag erhoben werden, der durch Verwendung von Banderolen entrichtet 
wird. Der Antrag Graf Kanitz wird gegen die Konservativen, die Re- 
gierungsvorlage von der Linken und dem Zentrum abgelehnt. 
Es folgt die Beratung des von der Kommission beschlossenen Ge- 
setzes über die Erhöhung der Schaumweinsteuer auf 75 Pfennig 
bis 3 Mark und des Schaumweinzolls auf 150 Mark pro Doppelzentner. 
Die Schaumweinsteuer wird mit 200 gegen 125 Stimmen angenommen. 
5. Juli. Austritt Graf Oriolas aus der natllib. Partei. 
6. Juli. (Reichstag.) Ein Gesetzentwurf, der die Verwen- 
dung von importierter Futtergerste zur Malzfabrikation verbietet, 
wird angenommen. 
Die schon von der Finanzkommission abgelehnten Entwürfe 
eines Elektrizitäts- und Gassteuergesetzes und eines Anzeigen-
	        
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