Frankreiq. (Januar 18.) 493
auch wieder in internationaler Hinsicht aufleben. Der Redner erinnert
an die Andeutungen, die der Reichskanzler schon in dieser Hinsicht gemacht
hat und die sehr wahrscheinlich eben auf dieses BVorgehen Frankreichs in
Ostmarokko abgezielt haben. Der Redner führt zum Schluß aus, daß diese
Politik um so bedauerlicher sei, als Frankreich jetzt mehr wie je infolge
der Lage der Dinge im Orient der ruhigen Sammlung und des Ein-
verständnisses mit Deutschland bedürfe für eine Politik der Mäßigung und
des Friedens.
18. Januar. Fortsetzung der Verhandlungen der Kam-
mer über Marokko.
Bei der Fortsetzung der Verhandlung über Marokko fährt Jaures
in seiner Rede vom Samstag fort und erörtert die Beziehungen Frank-
reichs und Deutschlands im Hinblick auf die Entwickelung der marokkanischen
Frage und der allgemeinen europäischen Politik. Der Redner verlangt
von der französischen Diplomatie in Marokko, sie solle eine Politik der Un-
eigennützigkeit verfolgen, um ein freundschaftlicheres Verhältnis zu Deutsch-
land vorzubereiten. Das für den Zwischenfall von Casablanca angenommene
schiedsrichterliche Verfahren zwischen den beiden Mächten müsse eine Er-
weiterung erfahren. Mit derselben Genugtuung sei als eine bedeutsame
Tatsache das Zusammenwirken der beiden Mächte zur Wahrung des Friedens
auf dem Balkan zu begrüßen. Auf die Anregung des „Temps“ zu einer
vermittelnden Einwirkung in den Balkanangelegenheiten habe die „Kölnische
Zeitung“" in demselben Geiste geantwortet. Trotz dieser erfreulichen Zeichen
lasteten aber die Fehler der Vergangenheit weiter auf dem Verhältuis der
beiden Diplomatien und der beiden Länder. Aber Frankreich könne gleich-
wohl ohne eine moralische Einbuße bei ganz Europa und bei Deutschland
selbst einen sichern und endgültigen Frieden vorschlagen. Das Gewissen
der Völker könne in der modernen Welt nicht die Anschläge der Gewalt
gegen die Integrität der Nationen gutheißen. Aber erklären, daß Frank-
reich und Deutschland künftig durch ein sicheres Uebereinkommen den Frieden
der Welt sichern müßten, heiße nicht die Anschläge der Vergangenheit
rechtfertigen, sondern an der Stelle der barbarischen Vergangenheit die
höhere Zivilisation der Zukunft vorbereiten. Der Redner hofft, Elsaß-
Lothringen werde in Europa in Zukunft die Rolle eines Versöhners der
beiden großen Nationen zufallen. Das werde dann die Revanche des Rechtes
sein. Frankreich habe nichts zu fürchten. Wenn es heute das große Werk
der internationalen Versöhnung in Angriff nehme, könne niemand
es der Furchtsamkeit oder der Schwäche verdächtigen. Auch das in seiner
roßen Mehrheit friedliebende englische Volk begreife, daß eine Annäherung
Franrreichs und Deutschlands eine Bedingung für den Frieden Europas
sei, und stimme ihr wie auch einer englisch-deutschen Annäherung zu.
Frankreich wage also nichts. Die Regierung solle sich entscheiden. Sie habe
es in der Hand, den Weltfrieden zu sichern. „Eben desselben Zieles wegen“,
fährt Jaurès fort, „müssen wir auch in der marokkanischen Frage uns
streng an die internationalen Abkommen halten, und darum frage ich die
Regierung: Wohin steuert sie? Wie weit sind unsere Truppen am Muluja
vorgerückt? Was für Weisungen hat die Regierung dem Gesandten Regnault
für seine Verhandlungen mit Hafid nach Fes mitgegeben? Welche Vor-
schläge soll er dem Sultan machen? Die Völker haben an den Kriegstaten
enug. Frankreich muß mit einem Beispiel vorangehen, wodurch es die
Voaredigtet des Friedens als Grundsatz aufstellt.“ (Beifall bei der äußersten
inken.
Denis Cochin (Rechte): Jaures fordert dazu auf, Marokko auf-