Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

40 Das Denisqe Reiq und seine einzelnen Glieder. (Januar 26.) 
schleunigung einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den 1. das Wahlrecht 
zum Abgeordnetenhaus in einer Weise abgestuft wird, die der Bedeutung 
der Einzelpersönlichkeit und der kulturellen wirtschaftlichen und sozialen 
Entwickelung unseres Volkes gerecht wird, 2. in das Wahlrecht zum Ab- 
geordnetenhause das direkte Wahlverfahren und 3. die geheime Stimm- 
abgabe eingefügt wird, 4. eine Veränderung der Landtagswahlflkreise 
insoweit vorgenommen wird, als durch Umwälzung der wirtschaftlichen und 
Bevölkerungsverhältnisse eine wesentliche Verschiebung der für die bisherige 
Einteilung der Wahlkreise maßgebenden Grundlagen eingetreten ist.“ 
Dr. Friedberg (ul.): Die jetzige Fassung unseres Antrages, mit 
der Umstellung der Nr. 2 und 3, macht es deutlich, daß durch die Voraus- 
stellung der direkten Wahl auch die geheime Abstimmung möglich wird. 
Tatsächlich wird sie ja wohl nur möglich sein, wenn man auch zugleich 
die direkte Wahl einführt. Die Antwort der Regierung auf den Antrag 
der Freisinnigen hat nicht überrascht, denn sie entsprach ja den früheren 
Kundgebungen der Regierung. Ich will auch nicht die Ausführungen des 
Ministers über eine weitschichtige Statistik ironisch behandeln, denn ich sehe 
ja wohl ein, daß man sich für eine Reform des Wahlrechts erst die Unter- 
lagen durch eine ausgiebige Statistik schaffen muß. Wenn man das Reichs- 
tagswahlrecht für Preußen will, dann erübrigt sich das, wenn man aber 
im Zweifel ist, ob man ein Pluralsystem oder ein verbessertes Klassensystem 
einführen will und sich über die Wirkungen klar sein soll, die das eine 
oder das andere System auf die verschiedenen Wählerklassen ausübt, dann 
muß man zahlenmäßige Unterlagen haben. Wir wünschen aber diese 
Statistik mit möglichster Beschleunigung zu erhalten, denn wir sind über- 
zeugt, daß die Wahlrechtsreform immer unaufschiebbarer wird. (Beifall links.) 
Der Abg. Herold hat von dem ersten Teile unseres Antrags gesagt, 
er sei so allgemein gefaßt, daß man unmöglich dafür stimmen könne. Ich 
leugne nicht, daß die Fassung sehr allgemein ist und selbst den einen oder 
andern von uns nicht voll befriedigt. Was wir aber damit andeuten 
wollten, ist das, was wir immer vertraten, daß eine gewisse Abstufung 
des Wahlrechts festgehalten werden soll, und daß wir der Uebertragung 
des Reichstagswahlrechts auf Preußen durchaus abgeneigt sind. Wenn 
das Reich dieses demokratische Wahlrecht hat, das wir aufrecht erhalten 
und gegen alle Angriffe schützen wollen, so muß in den Einzelstaaten, wo 
die Steuerzahler mit direkten Steuern belastet werden, ein Gegengewicht 
liegen, um auch Bildung und Besitz in unseren Parlamenten nicht voll- 
ständig auszuscheiden. Jedenfalls aber ist das Gewicht, das sie bisher in 
die Wagschale zu werfen hatten, nicht zu verringern. Im zweiten Absatz 
fordern wir direkte und geheime Wahl. Die direkte Wahl bringt den Ge- 
wählten und die Wählenden in nähere Beziehung zueinander, während das 
System der Wahlmänner, nachdem es sich jetzt eingebürgert hat, daß sie 
auf eine bestimmte Wahl verpflichtet werden, keine rechte Bedeutung 
mehr hat. 
Für die geheime Abstimmung tritt die große Mehrheit meiner 
Freunde geschlossen ein. Wenn einige Mitglieder meiner Fraktion diesen 
Standpunkt noch nicht vertreten, so haben diese Herren mich aber aus- 
drücklich gebeten, darauf hinzuweisen, daß ihre Ablehnung nicht program- 
matisch sei, sondern daß sie ihren definitiven Beschluß erst fassen können, 
wenn sie übersehen, welches Wahlrecht nun eigentlich in Zukunft gelten 
soll. Sie werden sich also vielleicht auch zum geheimen Wahlrecht be- 
kennen, wenn es so ausgestaltet wird, daß sie die Form der geheimen Wahl 
mit ihm für vereinbar halten. Wir betrachten nach wie vor den Terroris- 
mus und den Bodykott, der heute unter der Herrschaft der öffentlichen Wahl
	        
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