56 Das Neesche Reich und seine einfelnen Glieder. (Februar 8.)
greife, und zwar sowohl aus sozialpolitischen wie aus steuertechnischen
Gründen.“
Der Konservative Verein Großlichterfelde, Vorsitzender Generalmajor
z. D. v. Loebell, erläßt eine Erklärung, worin es heißt: „Wir bitten die
konservativen Mitglieder des Reichstages, mit aller Kraft für die Durch-
führung der Finanzreform als einer Lebensfrage des Reichs einzutreten,
dabei auch Opfer nicht zu scheuen, wozu auch wir, die minderbemittelten
Steuerzahler, aus patriotischem Pflichtgefühl bereit sind. Wir können uns
nicht einverstanden erklären mit Aeußerungen einzelner Konservativer, die
den Eindruck erwecken könnten, als ob die konservative Partei es nicht
als eine ihrer vornehmsten Pflichten ansieht, den Reichskanzler und dessen
Politik in diesen schweren Zeiten nach Kräften zu stützen."
8. Februar. (Berlin.) Der frühere Reichs= und Landtags-
abgeordnete Hofprediger a. D. Adolf Stöcker, Gründer der christlich-
sozialen Partei, 73 Jahre alt, ## in Bozen.
8. Februnr. In Hamburg ##der Bürgermeister Johann
Otto Stammann, 73 Jahre alt.
8. Februgr. (Baden.) Auflösung des Blocks.
Der Block, den die Liberalen vor vier Jahren miteinander ab-
geschlossen haben, um die vom Zentrum und von der Sozialdemokratie
drohende Gefahr abzuwehren, löst sich auf. Die monatelangen Verhand-
lungen zwischen den Parteileitungen sind gescheitert. Die Ursache liegt an
den Nationalliberalen: Schon vor mehreren Monaten hatte Obkircher als
Führer der Nationalliberalen auf dem Mosbacher Parteitag die Parole
ausgegeben, daß die nationalliberale Partei geradeaus marschieren und
den Kampf nach rechts gegen das Zentrum und die mit ihnen verbündeten
Konservativen ebenso energisch führen werde wie den Kampf nach links
gegen die revolutionäre Sozialdemokratie. Die linksliberalen Parteien
waren es, die schon damals ihre Unzufriedenheit mit dieser „Geradeaus-
taktik“ aussprachen und ziemlich unverblümt merken ließen, daß sie von
einer Bekämpfung der Sozialdemokraten nichts wissen wollten. Die Badische
Landeszeitung ist der Ansicht, daß es besser sei, wenn wieder einmal jede
Partei ihre Stimmen bei der Hauptwahl zähle; bei den Nachwahlen bleibe
noch Gelegenheit genug, das Blockabkommen zu erneuern.
8. Februar. Enthüllungen über englische Bündnisangebote
an Deutschland 1899—1901.
Das „Berliner Tageblatt“ bringt am Tage vor der Ankunft des
Königs von England in Berlin Enthüllungen über Bündnisverhandlungen,
die 1899—1901 durch Chamberlain angeregt, aber in Berlin gescheitert
seien. Vor dem Burenkriege habe Chamberlain eine deutsch-britische Ver-
ständigung über Marokko mit Ausschluß Frankreichs vorgeschlagen, die aber
von der deutschen Regierung mit großer Reserve ausgenommen wurde. Er
habe damals (November 1899) in einer Rede eine neue Tripleallianz zwischen
der germanischen Rasse und den beiden großen Zweigen der Angelsachsen
beinahe wie ein fait accompli hingestellt. Aber wegen der Beschlagnahme
der deutschen Reichspostdampfer „Bundesrat“, „General“ und „Herzog“
seien die Verhandlungen von Deutschland abgebrochen worden. Im Januar
1901 habe dann Chamberlain den Beitritt Englands zum Dreibund mit
Ratifizierung durch das Parlament angeboten; der casus foederis sollte
eintreten, sobald eine der vertragschließenden Parteien von zwei Seiten