Vas Venische Reich und seine einzelnen Glieder. (März 4.) 81
die umliegenden Gemeinden, mit Berlin zu verhandeln, ist meines Wissens
überhaupt nicht ergangen. An eine Eingemeindung im großen Stil zu
gehen, ist es nicht mehr an der Zeit; man würde dadurch leistungsfähige
selbständige Gemeinden vernichten, wozu am allerwenigsten in einer Periode
der Zentralisation zu raten ist. Grenzregulierungen zur Beseitigung ein-
zelner Uebelstände sind dagegen keineswegs ausgeschlossen. Bezüglich des
Tempelhofer Feldes ist eine Anregung überhaupt noch nicht an mich
herangetreten. (Hört, hört!) Mit Grenzregulierungen allein ist es auch
nicht getan. Es fehlt an einer Relation der Verhältnisse zwischen Berlin
und den Nachbargemeinden, und in dieser Beziehung Besserung anzustreben,
erscheint mir als das Wichtigste. Die Bildung von Zweckverbänden auf
privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Grundlage wäre sowohl für Berlin
wie für die Vororte nützlich. Wenn in dieser Hinsicht Anregungen an mich
ergehen, dann bin ich gern bereit, meine Vermittlung eintreten zu lassen.
Sollte das alles aber zu keinem Ergebnis führen, so wäre vielleicht daran
zu denken, die gesetzlichen Bestimmungen über die Zweckverbände in Land-
gemeinden auf dem Wege der Gesetzgebung auch auf die Städte auszudehnen.
4. März. Zur Reichsfinanzreform.
Um endlich mit der Beratung der indirekten Steuern vorwärts zu
kommen, einigen sich die Konservativen, Reichsparteiler, Nationalliberalen
und Freisinnigen in der Finanzkommission auf einen Kompromißantrag,
den sie mit 15 gegen die 13 Stimmen des Zentrums, der Polen und der
Sozialdemokraten durchbringen. Der Schatzsekretär kann zwar die Zustim-
mung der verbündeten Regierungen zu dem Kompromißantrag nicht in
Aussicht stellen, verzichtet aber auf die Kritik, um die Weiterberatung an-
derer Entwürfe nicht zu hindern.
In der Blockpresse ist das Urteil über das Kompromiß zur Besitz-
besteuerung ziemlich ablehnend; die „Deutsche Tageszeitung“ spricht sogar
von einem schweren Opfer des Intellekts, der Tradition, ja der Ueber-
zeugung für die Konservativen. Dagegen finden die Blätter des Zentrums
an dem Kompromiß Gefallen, obwohl sie den Nachweis zu führen suchen,
daß der ihm sachlich nahestehende Antrag Herold staatsrechtlich den Vor-
zug verdient hätte.
Der Antrag Herold-Müller lautet: „An Stelle der nach Ar-
tikel 70 der Reichsverfassung aufzubringenden nicht gedeckten Matrikular-
beiträge tritt eine Abgabe, welche von den Bundesstaaten durch Besteuerung
des Besitzes (Einkommen, Vermögen oder sonstiger Besitz' aufgebracht wird.
Der zu erhebende Betrag wird alljährlich durch das Reichshaushaltsetat-
gesetz bestimmt. Derselbe darf für die Rechnungsjahre 1909 bis 1913 die
Summe von 150 Millionen jährlich nicht übersteigen. Die Abgabe ist in
vierteljährlichen Raten nach näherer Anweisung des Bundesrats an die
Reichskassen abzuführen. Der von den einzelnen Bundesstaaten zu ent-
richtende Betrag ist auf Grund des in diesen vorhandenen, nach einheit-
lichen, vom Bundesrate festzustellenden Grundsätzen zu ermittelnden Ein-
kommens und reinen Vermögensbestandes festzustellen; solange die Grundlagen
für diese Feststellung nicht in allen Bundesstaaten vorhanden sind, ist die
Angabe nach Maßgabe der Bevölkerung zu entrichten. Hierbei bleibt für
Sachsen-Meiningen, Waldeck, Lippe und Schaumburg-Lippe ein Drittel
der Bevölkerung außer Betracht.“
Der Kompromißantrag dagegen hat folgende Fassung: „§ 1. Die
Bundesstaaten haben nach Maßgabe dieses Gesetzes an das Reich eine
Abgabe zu entrichten, die von dem Besitze erhoben wird (Besitzsteuer) und
in den vom Bundesrat zu bestimmenden Fristen abzuführen ist. § 2. Der
Europäischer Geschschrskalender . 6