124 Jos Veutsche Reich und seine eintelnen Glieder. (Februar 11.)
wärtig dafür kein Bedürfnis vor. Außerdem hieße es, das Zustandekommen
der Vorlage noch mehr erschweren, wollte man auch diese Frage mit ihr
verknüpfen. Die Verbesserungen, die der Entwurf bringt, sind sehr klein,
dahin gehört die direkte Wahl, wenn auch die Frage, ob direkt oder in-
direkt gewählt wird, keinen so gewaltigen Einfluß haben wird. Ein weiterer
Vorzug ist die Höchstgrenze der anzurechnenden Steuern. Ob die Summe
von 5000 Mark für die neu anzurechnende Steuergrenze die Höchstgrenze
sein wird, wird noch Gegenstand weiterer Erwägungen sein müssen.
Minister des Innern v. Moltke: Ich muß daran festhalten, daß
die Gründe, die die Einführung der indirekten Wahl seinerzeit wünschens-
wert erscheinen ließen, heute nicht mehr vorliegen. Ich will gern zugeben,
daß in ganz einfachen ländlichen Verhältnissen, wo kleine Leute weit von
der Stadt und ohne enge Verkehrsverhältnisse wohnen, sie die Zwecke und
die Ziele der Parteien nicht genügend übersehen und im kritischen Moment,
vielleicht verlockt durch gegenteilige Vorstellungen, sich auf eine Seite stellen,
die ihrer inneren Ansicht und ihren Interessen eigentlich nicht entspricht.
In dem bisherigen System hatten sie in der Person eines ihnen nahe-
stehenden Vertrauensmannes als Wahlmann eine Anleitung, die sie an der
Stange hält. Das sind aber doch heutzutage Ausnahmezustände, auf die
man ein Wahlrecht nicht aufbauen kann. Die Einrichtung der indirekten
Wahl entstammt einer Zeit ohne Eisenbahn und ohne Telegraphen, ohne
Zeitungen und ohne Vereine. Heute ist die Oberfläche des öffentlichen
Lebens erweitert worden. Es kommt heute darauf an, die Wähler auf-
zurütteln, damit sie zur Wahl gehen. Die Wahlbeteiligung war unter der
indirekten Wahl eine sehr geringe, und man kann daher sagen: Die in-
direkte Wahl hat wirklich kaum noch eine politische Bedeutung. Sie mindert
die Fühlungnahme zwischen den Abgeordneten und den Wählern und beein-
trächtigt die selbständige politische Betätigung. Sie ist außerdem äußer-
lich eine höchst umständliche Modalität des Wahlverfahrens geworden. Es
liegt im ganzen System der indirekten Wahl, daß sie die Minderheiten
benachteiligt, und schon dieser Umstand hält viele Wähler von der Wahl
zurück. Die Minderheit weiß eben, daß sie nicht zur Geltung kommt.
Das Ihnen vorgeschlagene System ist gerechter. Es verhilft den Minder-
heiten zur Geltung und damit den wirklich in der Masse der Wähler vor-
handenen Strömungen.
Abg. v. Zedlitz (Fk.): Die Maximierung, die vorgeschlagen wird,
ist nicht eine Bevorzugung des platten Landes, sondern im Gegenteil, sie
bringt eine Bevorzugung der Städte. Die Maximierung wird aber außer-
ordentlich ungleich je nach den kommunalen Steuerzuschlägen. Die Maxi-
mierung wird außerdem infolge der jetzigen Drittelung in den Urwahl-
bezirken eine große Verschiebung unter den Wählern hervorrufen und des-
wegen wird man nicht herumkommen, die jetzige Drittelung in den Ur-
wahlbezirken wieder fallen zu lassen. Durch die jetzige Drittelung wird
der Mittelstand fast durchweg in die dritte Klasse gedrängt. Wer also
dem Mittelstand seine frühere einflußreiche Stellung wiedergeben will, der
muß die Drittelung in den Urwahlbezirken fallen lassen und für die Dritte-
lung in den Gemeindebezirken sein. Die jetzige Drittelung hat zwar
dem Zentrum einige Vorteile gebracht, aber es darf auch nicht vergessen
werden, daß die Sozialdemokratie viel Vorteil davon hat. Die Bevorzugung
der Bildung bei der Wahl ist ein durchaus gesunder Gedanke. Es frägt sich
nur, ob dieser Gedanke in der Vorlage richtig zum Ausdruck gebracht ist.
Es muß vor allem bei dem Aufrücken aus der dritten in die zweite Klasse
eine Berücksichtigung der selbständigen Gewerbetreibenden und Landwirte
erfolgen. (Zuruf b. d. Sd.: Und die Arbeiter?) Die Arbeiterinteressen