Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 11.) 97
Mit der Aussöhnung der Polen kommen wir nicht vorwärts, das Herz der
Polen können wir nicht erobern, denn sie wollen die Wiederherstellung
Polens. Freilich hat nun die Polenpolitik nicht alles erreicht, was sie
wollte. Bei der Durchführung dieses schwierigen Problems sind zweifellos
große Fehler gemacht worden. Aber man miuhr auch, wenn man ein großes
Ziel vor Augen hat, dieses im Auge behalten. Man darf sich nicht durch
einzelne Fehler irre machen lassen. Gleich dem Landwirtschaftsminister
möchte ich an das Haus die Frage richten, wieviel Deutsche noch in der
Provinz Posen sein würden, wenn die Maßregeln unserer Polenpolitik nicht
vorgenommen worden wären, wenn wir unsere Ansiedelungspolitik nicht er-
griffen hätten. Wenn Sie die Berichte aus den 50er Jahren des vorigen
Jahrhunderts sehen, dann ergibt sich daraus, daß überall in den polnischen
Gebieten ein starker Rückgang der Deutschen zu verzeichnen ist, weil die Deutschen
von den Polen terrorisiert wurden. Infolgedessen ist die Ansiedelungspolitik
durchaus notwendig. Wir wollen ja die Polen nicht ausschließen. Allerdings
bemühen wir uns, in diese polnischen Gebiete auch Deutsche hineinzusetzen,
damit nicht dort ein fremder Staat im eigenen Lande entstehen kann. Des-
halb sind auch die großen Mittel, die der Staat aufwenden muß, gut angelegt.
Abg. Dr. Bredt (Frk.): Die Vorlage bietet nichts Neues, und hoffent-
lich ist sie noch nicht der Schlußstein der polnischen Gesetzgebung. Es muß
auf dem beschrittenen Wege fortgeschritten werden. Es handelt sich um ein
Kulturwerk allerersten Ranges, und es ist schon ziemlich viel erreicht worden.
Die Seßhaftmachung landwirtschaftlicher Arbeiter beruht auf einer An-
regung meiner Partei. Wir legen auch künftig den größten Wert auf diesen
Teil des Gesetzes. Die Kommission ist auf dem richtigen Wege, doch muß
ihr mehr Bewegungsfreiheit gelassen werden. Mit der Versöhnungspolitik
haben wir stets die schlechtesten Erfahrungen bei den Polen gemacht. Wenn
man einmal das Schwert der Enteignung in der Hand hat, so sollte man
auch energisch damit umgehen und eine gehörige Portion Land erwerben,
damit wir eine großzügige Ansiedelungspolitik treiben können. — Abg.
Glatzel (Nl.): Die Erfolge der Ansiedelungspolitik waren auch in politischer
Bcziehung günstig. Durch diese Politik wird die Sicherheit des preußischen
Staates gewährleistet. Auf die Bauernansiedelung legen wir den größten
Wert. Die Besiedelung muß weiter gefördert werden. Man sollte auch
dazu übergehen, Unterbeamte und Bauern anzusiedeln. Neben allen diesen
Dingen müssen andere Kulturwerke gefördert werden.
Abg. Dr. Pachnicke (Fortschr. Vp.): Ich habe namens meiner Fraktion
eine Erklärung abzugeben. Wir erkennen an, daß die mit ungewöhnlich
großen Mitteln betriebene Ansiedelungstätigkeit wirtschaftlich und kulturell
in mancher Beziehung Nutzen gestiftet hat, eine Wirkung, die allerdings
durch die vollständige Außerachtlassung der Städte wesentlich abgeschwächt
worden ist. Der politische Zweck ist aber nicht erreicht worden, wie die
Begründung des Gesetzentwurfs zugibt, indem sie immerhin feststellt, daß
die gefahrdrohende Entwicklung des polnischen Volksteils weiter gedrungen
ist. Hört, hört! b. d. P.) Diesen Mißerfolg schreiben wir dem Ausnahme-
charakter der getroffenen Maßregeln zu. Um sie in Zukunft ihres Aus-
nahmecharakters zu entkleiden, werden wir in dem entsprechenden Stadium
der Verhandlungen den Antrag einbringen, statt der in dem vorliegenden
Gesetzentwurf geforderten 230 Millionen und statt der für Ansiedelungs-
zwecke vorgesehenen 25 Millionen 300 Millionen für die innere Kolonisation
im ganzen preußischen Staat aufzuwenden und auf diese Weise den Segen
der Ansiedelung allen Gebieten unseres preußischen Vaterlandes zuzuführen.
(Beifall l.) — Der Etat der Ansiedelungskommission wird an-
genommen. Der Gesetzentwurf geht an die Budgetkommission.
Europäischer Geschichtskalender. LIV. 7