D Beenische Reich und seine rinzelnen Glieder. (April 8., 143
8. April. (Reichstag.) Fortsetzung der ersten Lesung der
Wehrvorlage.
Abg. Bassermann (Nl.): Die Ausführungen des Reichskanzlers
waren getragen von dem Gefühl der schweren Verantwortung. Er hat sich
tragen lassen von einem gewissen Gefühl der Sicherheit und Zuversicht,
namentlich in dem Teile, wo er von der deutschen Armee sprach. Wir
können uns darüber freuen. Wer an diese große Militärvorlage mit den
großen Lasten herantritt, der wird in erster Linie prüfen müssen: Ist die
internationale Lage so geworden, daß es notwendig war, den letzten Mann
einzustellen und die allgemeine Wehrpflicht zur Durchführung zu bringen?
Die Untersuchung darüber hat gestern der Reichskanzler angestellt. Die
Erkenntnis, daß es nottut, zu weiteren Rüstungen zu schreiten, halte ich
für richtig, und ich kann den Entschluß der Regierung dazu nur billigen,
im Gegensatz zu Herrn Haase. Die politische Lage hat sich unbedingt ver-
schlechtert. Das beweisen schon die Vorgänge auf dem Balkan. Wir müssen
uns aber fragen: Liegen die Gründe nicht noch weiter zurück für diese
Verschlechterung? und wir können diese Frage nur bejahen. Seit Bismarcks
Zeiten haben sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland ver-
schlechtert, namentlich seit der Ründigung des bekannten Rückversicherungs-
vertrages. Die Verschlechterung ist schließlich so weit gegangen, daß wir
ein Bündnis zwischen Rußland und Frankreich bekamen. Mit England
hat uns unsere wirtschaftliche Entwicklung in Gegensatz gebracht, und dieser
Gegensatz hat schließlich zur Tripelentente geführt. Wir wollen nicht unter-
suchen, ob nicht eine geschicktere Diplomatie manches anders und besser hätte
gestalten können. Diese Untersuchung hat heute keinen Zweck. Sie wissen
alle, daß wir Reformen auf diplomatischem Gebiete wünschen. Aber wir
müssen heute die Lage so nehmen, wie sie ist. In früheren Jahren haben
wir bis zu einem gewissen Grad mit auf die Türkei gerechnet. Diese ist
jetzt ganz ausgeschaltet, und auch ihre letzten Versuche, sich noch einen Platz
in Europa zu erhalten, sind gescheitert. An ihre Stelle traten die slawischen
Staaten. Vor allem wird dadurch unser Bundesgenosse Oesterreich berührt,
zumal da für uns Rumänien nicht mehr so sehr ins Gewicht fallen kann,
wie es früher der Fall war. Der asiatischen Türkei wollen wir ihren Besitz-
stand unbedingt wahren. Wir werden sie nicht antasten lassen, denn dort
sind auch wir interessiert. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß auch in
diesem Teile der Türkei Konfliktsmöglichkeiten entstehen können. Der Reichs-
kanzler hat gestern den Dreibund als feststehend bezeichnet. Der Drei-
bund ist lange vor seinem Ablauf ernenert worden, und wir freuen uns
darüber, ebenso auch über seine Bewährung während der letzten Wirren.
Die Schwierigkeiten zwischen Oesterreich und Italien sind glücklicherweise
beseitigt worden. Wir dürfen aber doch nicht vergessen, daß die Aktions-
fähigkeit Jtaliens beeinträchtigt worden ist. In Tripolis sind Teile seiner
Militärkraft festgehalten. Durch Trivolis wird Italien auch veranlaßt,
mehr Mittelmeermacht zu sein, als es heute schon ist. die italienische
Politik wird auch für die Zukunft mehr Rücksicht nehmen müssen auf Frank-
reich. Mit Rußland haben wir gehofft, durch die Potsdamer Zusammen-
kunft zu einem besseren Verhältnis zu kommen. Diese Hoffnungen haben
sich durchaus nicht alle erfüllt. Die Tripelentente ist immer stärker ge-
worden durch Rußlands Wirken. Wir erkennen aber gerne an, daß die
gegenwärtige russische Regierung durch friedliche Politik geleitet ist. Es ist
ja auch gelungen, einen Krieg mit Oesterreich zu vermeiden. Wir müssen
uns aber fragen: Wie lange wird dieses friedliche Regiment sich halten
können? Die panflawistischen Elemente machen sich gewaltig breit. Wir