Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

NHas VBetsche Reich umnd seine einzelnen Glieder. (Januar 8.) 5 
der Lage hinwegkommen werden. Die Kosten für den Nachtragsetat sollen 
dem Ausgleichsfonds entnommen werden, wie das die Bestimmungen 
darüber zulassen. Er hat jetzt einen Bestand von 234 Millionen und 
nach Ab3zug von 30 Millionen für Zwecke der Eisenbahnverwaltung noch 
von 204 Millionen und kann die Kürzung um 60 Millionen daher leicht 
vertragen. 
Die Aussichten für das Jahr 1913 sind in vielfacher Hinsicht 
günstig. Doch sind auch Schattenseiten bemerkbar. Die Ernte war quan- 
titatio ganz hervorragend, fast eine Rekordernte; dagegen wurde die Qualität 
durch die Nässe erheblich beeinträchtigt. Kartoffel- und Rübenernte waren 
befriedigend. Die Weinernte erweckte große Hoffnungen, litt aber durch die 
Nachtfröste. Dazu kam die Fleischteuerung infolge des Mangels an Schlacht- 
vieh. Die Regierung sah sich daher genötigt, Einfuhrerleichterungen auch 
für lebendes Vieh eintreten zu lassen. Es ist zu hoffen, daß die Vieh- 
bestände sich bald wieder vermehren werden. Das Baugewerbe und einzelne 
Industrien haben schlechte Zeiten durchgemacht. Im übrigen herrschte Hoch- 
konjunktur auf der ganzen Linie und ein Rückgang ist einstweilen 
nicht ersichtlich. Nur der hohe Geldstand macht sich überall empfindlich 
bemerkbar und kann die Konjunktur ungünstig beeinflussen, wenn er anhält. 
Er wird zumeist dadurch hervorgerufen, daß viele infolge der politischen 
Lage die Barbestände festhalten. Der neue Etat schließt ohne Anleihe ab. 
(Bravo.) Dieser günstige Abschluß ist aber nur dadurch möglich geworden, 
daß die sämtlichen Einnahmen restlos herangezogen worden sind einschließ- 
lich der Steuerzuschläge und im Vertrauen auf die Fortdauer der günstigen 
Konsunktur. Die Ausgaben der Staatsverwaltung steigen fortgesetzt und 
werden weiter steigen. Wenn in Zukunft die Konjunktur sich wieder ver- 
schlechtert, wird es schwer sein, den Etat zu bilanzieren. Ich rechne zwar 
nicht mit einem Defizit; aber es wird nur möglich sein auszukommen, 
wenn dem Staate alle Einnahmen erhalten bleiben, über die er verfügt. 
Preußen hat eine höhere Staatsschuld als das Reich und eine geringere 
Schulentilgung. Die preußische Schuldentilgung mit dreifünftel 
Pro zent ist absolut ungenügend, denn bei ihr kommt das Kapital nie zur 
Zurückzahlung und diese Schuldentilgung besteht für mindestens 2 Milliarden 
und es ist dringend nötig, hier Wandel zu schaffen im Zusammenhang mit 
der Neuordnung der Eisenbahnfinanzen. Der Redner geht nunmehr auf 
die einzelnen Etats näher ein. Er erwähnt mit besonderer Befriedigung 
die Bestrebungen der Jugendfürsorge und erklärt die Bereitwilligkeit 
der Staatsregierung, diese Bestrebungen in jeder Weise zu unterstützen. 
Bravo. Wir können mit voller Befriedigung auf den Abschluß des Etats 
1913 blicken. Er bedarf keiner Zuschußanleihen und stellt eine stattliche 
Reserve zur VBerfügung. Der Ausgleichsfonds ist Schritt für Schritt ge- 
wachsen. Das Finanzprogramm hat sich also bewährt. Wir müssen aber 
damit rechnen, daß ohne die günstige Konjunktur wir das alles nicht er- 
reicht hätten. Diejenigen, welche die Beseitigung der Steuerzuschläge ver- 
langen, verkennen dies und übersehen, daß wir uns für schlechte Zeiten 
rüsten müssen. Die preußischen Finanzen erfreuen sich eines guten Rufes 
und das danken wir der Unterstützung dieses Hauses. Die Gefahr einer 
Defizitwirtschaft liegt in weiter Ferne. Hoffentlich stehen wir an der Schwelle 
einer langen Reihe von defizitlosen Jahren. Der Weg steht offen und es 
liegt an uns, ihn zu beschreiten und nicht wieder zu verlieren. (Bravo.) 
8. Januar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Ein Nach- 
tragsctat für 1912 wird von der Regierung vorgelegt. 
An ordentlichen Einnahmen kamen nachträglich 900000 Mark, an
	        
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