Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder ( April. 14. ) 191
den Finanzmännern und Delegierten der „Dette Publique Ottomane“ eine
Konferenz zusammentreten werde. Bei den Beratungen der Londoner Bot-
schafterversammlung sei über gewisse Grundsätze, die für die Heranziehung.
der Balkanstaaten zur türkischen Staatsschuld maßgebend sein
sollen, eine vorläufige Einigung erzielt worden. Danach sollen die Ver-
bündeten denjenigen Teil der Schuld übernehmen, der den Einnahmen der
an sie abzutretenden Gebiete entspricht. Ferner sollen die Balkanstaaten
hinsichtlich aller Konzessionen und Staatsverträge, die sich auf die ihnen
zufallenden türkischen Gebiete beziehen, an die Stelle der türkischen Regie-
rung treten. Es wurde endlich noch das Verhältnis der armenischen Ge-
bietsteile der asiatischen Türkei überhaupt besprochen. Hier wurde wieder-
holt, daß Deutschland bemüht sei, die Türkei in Asien zu erhalten, und daß
man, was die armenische Frage anlange, immer dafür eingetreten sei, daß
sie nur auf internationalem Wege gelöst werden dürfe, und daß wir daher
gehört werden müssen.
Es wurde endlich die Besserung der englischen und deutschen
Beziehungen erörtert. Der Herr Staatssekretär erklärte: „England habe
während der Balkankrisis eingesehen, daß Deutschland eine friedliche Politik
verfolge. Den vereinten Bemühungen Englands und Deutschlands sei es
zu danken, daß die Gegensätze in der Balkanfrage nicht zu scharf aufeinander
gestoßen seien. Er könne wiederholen, daß sich bessere Beziehungen zu Eng-
land anbahnen, die, wie er hoffe, sich weiter entwickeln und praktische Er-
gebnisse zeitigen werden.“ Diese Erklärung wurde allseitig mit Befriedigung
aufgenommen. Eingehend wurde die Schulfrage in China besprochen
und darauf hingewiesen, daß das Interesse Deutschlands an der ganzen
Entwicklung des Chinesischen Reichs ein sehr großes sei, und daß es Auf-
gabe unserer Diplomatie sein müsse, diese Beziehungen zwischen Deutschland
und China zu pflegen und vor allem den deutschen Schulen in China, auch
den technischen Instituten, die wir dort unterhalten, intensivste Aufmerksam-
keit zu widmen und da, wo die bisherigen Subventionen sich als ungenügend
herausstellen, mit größeren Forderungen nach dieser Richtung hervorzutreten.
Es wurde in der Kommission darauf hingewiesen, daß wir auf diesem Ge-
biete wie auch auf anderen in das Hintertreffen geraten seien, was um
so größere Energie in der Zukunft seitens unserer Regierung und diplo-
matischen Vertretung erfordere. Es wurde bei dieser Gelegenheit seitens des
Auswärtigen Amts darauf hingewiesen, daß dem weiteren Ausbau des
Konsulatwesens Aufmerksamkeit geschenkt werde. Für Schanscha sei ein
Konsulat gefordert und für Yünnanfu sei ein Konsulat geplant. Es wurde
die Notwendigkeit eines weiteren Handelssachverständigen für China be-
sprochen und die Prüfung dieser Frage seitens des Auswärtigen Amtes
zugesagt.
Staatssekretär des Auswärtigen Amtes v. Jagow: Ich möchte noch
einmal den Vorwurf zurückweisen, daß unsere Diplomatie versagt hat.
Rüstungen können wir vielleicht beobachten; die Frage aber, wann und ob
ein Krieg ausbricht, ist doch mehr oder weniger ein Ratespiel, das auch
die Nächstbeteiligten nur in den seltensten Fällen zu lösen wissen werden.
Zudem glaube ich, daß wir uns vor einem übertriebenen und vorzeitigen
Pessimismus und vorzeitigen Alarmrufen in acht nehmen müssen; denn
solche können unserem Wirtschaftsleben in Deutschland nicht zugute kommen,
dem eine vielleicht unnötige Beunruhigung unter allen Umständen erspart
bleiben muß. Was die Skutarifrage anbetrifft, die zeitweise drohend zu
werden schien, so dürfte sie jetzt aus dem akuten Stadium herausgekommen
sein. Serbien hat bereits angekündigt, daß es seine Truppen zurückziehen
werde. Das ist zunächst der Einmütigkeit der Mächte bei der Flottenaktion