Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 9.) 7 
(Berlin) aus: Die Konservativen sind innerlich zweifellos von der Un- 
gerechtigkeit und Unhaltbarkeit des Klassenwahlsystems überzeugt, aber sie 
wollen kein anderes, weil sie unter dem jetzigen Zustande gute Geschäfte 
machen. Auf ähnlichem Geschäftsstandpunkt stehen auch die Freikonservativen, 
die Nationalliberalen und das Zentrum. Die Freikonservativen wollen zwar 
eine Reform, aber nur eine, die die Sozialdemokratie überhaupt aus dem 
Landtage hinaustreibt und ihnen selbst weitere Vorteile bringt. Und darin 
unterscheiden sie sich wenig von den Nationalliberalen, die nach wie vor 
Gegner des gleichen Wahlrechts sind. Ein Teil der Nationalliberalen — das 
hat sich bei der letzten Abstimmung über den fortschrittlichen Antrag ge- 
zeigt — will auch von einer geheimen Wahl nichts wissen. Programmatisch 
fordert das Zentrum zwar das allgemeine, gleiche, direkte und geheime 
Wahlrecht, aber für die Verwirklichung dieser Programmforderung hat das 
Zentrum nie ernstliche Schritte getan. Im Gegenteil. Das Zentrum hat 
den niederträchtigsten Verrat an dieser Forderung geübt. Unumwunden 
muß zugegeben werden, daß die Fortschrittler in den letzten Jahren in 
der Wahlrechtsfrage eine entschlossenere Stellung als früher eingenommen 
haben, und ich nehme keinen Anstand zu erklären, daß sie 1910 bei 
der Debatte über die Wahlrechtsvorlage ihren Mann gestanden haben. 
Dann verteidigt Hirsch unter Polemik gegen Eisner und Bernstein die 
bisherige Praxis des Stimmzählens und sieht es als den größten Erfolg 
an. daß die sozialdemokratischen Stimmen diesmal vielleicht auf eine 
Million steigen würden. Wenn die Sozialdemokratie überall bei den Ur- 
wahlen selbständig vorgehe, könne sie viel Aufklärungsarbeit leisten. Also 
der Vorschlag Eisners, die Liberalen überall da, wo keine Aussicht auf 
Erfolg bestehe, zu unterstützen, könne aus diesem Grunde nicht befolgt 
werden, zumal auch die Nationalliberalen durchaus unzuverlässig und viel- 
fach nicht besser als die Konservativen seien. Mit den Fortschrittlern können 
wir dagegen, so führte Hirsch weiter aus, ein gut Stück zusammengehen. 
Allerdings keine Unterstützung ohne Gegenleistung. — Eine diesen Ausfüh- 
rungen entsprechende Resolution der Landeskommission wird einstimmig 
angenommen. 
Weiter wurde noch eine scharfe Resolution gegen die preußische 
Dänen- und Polenpolitik angenommen, ebenso eine Resolution, die gegen 
die Untätigkeit der Regierung in der Fleischnotfrage gerichtet ist. 
9. Januar. (Darmstadt.) Geh. Justizrat Ernst Schmeel, 
Vorsitzender der hessischen nationalliberalen Partei +, 68 Jahre alt. 
9. Januar. (Weimar-Eisenach.) Hauptvoranschlag des 
Staatshaushalts für 1914, 1915 und 1916. 
Er weist in Einnahme und Ausgabe 14 240 089 Mark auf. Das ist 
gegen die laufende Finanzperiode 1911/13 ein Mehr von nahezu 2 000 000 
Mark. Unter den Einnahmen bringen Einkommen= und Ergänzungssteuer 
allein rund 1½° Millionen Mark mehr; es folgen die Gerichtskosten mit 
einem Plus von 363 000 Mark, der Kalibergbau mit 150 000 Mark und 
Zinsen und Gewinnanteile mit 78 000 Mark mehr. In der Ausgabe er- 
scheint neu eine Erhöhung der Besoldungen der Staatsbeamten und eine 
Aufbesserung der Dienstvergütungen der bei den Staatsbehörden beschäf- 
tigten Hilfsarbeiter, die 415 139 Mark erfordern und im Durchschnitt eine 
zehnprozentige Aufbesserung darstellen wird. Der Voranschlag der außer- 
ordentlichen Staatseinnahmen und -ausgaben weist einen verfügbaren Be- 
trag von 1909313 Mark auf.
	        
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