Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

196 Vas Neufsche Reich und seine einzelnen Glieder, (April 14.) 
Zeiten unseres großen ersten Reichskanzlers war das ja vielleicht nicht so 
notwendig. Ein Mann, der auf zwei siegreiche Kriege zurückblicken kann, 
steht ja in dieser Beziehung anders da und kann von vornherein das Ver- 
trauen ohne weiteres beanspruchen. Aber wenn man in die Reden des 
Fürsten Bismarck hineinsieht, ist man erstaunt, welche große Anzahl von 
Einzelheiten er über seine auswärtige Politik im Plenum des Reichstages 
ausgesprochen hat, wie er auf die verschiedensten Phasen gewisser Verhand- 
lungen eingegangen ist. Ich erinnere Sie nur an seine große Rede über 
den Berliner Kongreß, und wie oft er über seine Unterhandlungen mit den 
einzelnen Staatsmännern, den Notenwechsel, den er gehabt hat, und der- 
gleichen mehr gesprochen hat. Ich glaube, daß Aehnliches auch gegenwärtig 
bei uns wohl am Platze sein würde; wenn man eine auswärtige Politik 
mit Erfolg führen will, muß man auch große Ziele haben, und das Aus- 
land muß auch wissen, daß hinter der Leitung der auswärtigen Politik die 
Nation als solche steht. Eine mündige Nation wie die unfrige kann aber 
nur dann hinter ihrer Regierung stehen, wenn sie ungefähr weiß, was denn 
die Regierung selbst vorhat, und welches ihre Ziele sind. 
Staatssekretär v. Jagow: Ich möchte mir gestatten, über diechine- 
sischen Verhältnisse einige Worte an Sie zu richten. Zunächst möchte 
ich unsere Genugtuung über die zunehmende Konsolidierung der dortigen 
Verhältnisse ausdrücken. Nach einer Periode revolutionärer Bewegungen 
tritt China jetzt in eine neue Zeit ein, in die wir es als alte Freunde des 
chinesischen Reiches mit unseren besten Wünschen begleiten. Es ist hier das 
Bedenken laut geworden, daß wir die Anerkennung der neuen Republik von 
der Anleihe abhängig machen. Ich kann das Bedenken zerstreuen; es ist 
nicht richtig. Wir vertreten den Standpunkt, daß die Anleihe nichts mit der 
Anerkennung zu tun hat. Wie Sie wissen, ist soeben das chinesische Parlament 
zusammengetreten und beschäftigt sich mit der Beratung der Konstitution. 
Es wird demnächst zur Wahl des Präsidenten schreiten. Wenn die Wahl 
stattgesunden hat, werden wir der Frage der Anerkennung näher treten können. 
Den chinesischen Staatsmännern stehen schwere Aufgaben bevor. Vor allen 
Dingen heißt es, eine gesunde Finanzpolitik zu machen. Zur Aufbringung 
der Mittel für diesen Zweck und zur Ordnung seines Finanzwesens ist China 
nicht allein imstande, es ist auf die Hilfe des Auslands angewiesen. Wir 
unterstützen daher die große internationale Anleihe, weil wir glauben, 
daß China mit dieser besser fährt, als wenn es viele kleine Finanzgeschäfte 
mit anderen kleinen Finanzgruppen macht, die ihm große Opfer und 
drückende Bedingungen auferlegen und ihm doch nur ermöglichen, aus der 
Hand in den Mund zu leben. Soweit China bei seiner Reformarbeit auf 
die Mitwirkung des Auslandes rechnet, wird ihm auch der deutsche Rat 
nicht fehlen. Es ist hier gesagt worden, wir wären in China von anderen 
Mächten zurückgedrängt worden. Ich muß das bestreiten. Wir haben unseren 
Platz voll behauptet, und ich glaube, das wird sich auch bei der Erledigung 
der Beraterfrage zeigen, die demnächst zur Frage steht. Auch unsere Handels- 
verhältnisse mit China sind berührt worden. Wir widmen der Aus- 
gestaltung derselben dauernd die vollste Aufmerksamkeit. Wenn sie in den 
letzten Jahren nicht derartige Fortschritte gemacht haben, wie dies vielleicht 
zu wünschen wäre, so liegt das doch in erster Linie an der allgemeinen 
Stagnation, die in China infolge der revolutionären Bewegung entstanden 
war. Aber ich habe das Vertrauen in unseren tüchtigen deutschen Kaufmann, 
daß er diese Krisis überwinden wird, und er wird dabei stets unsere Unter- 
stützung finden. Ein Beweis dafür mag Ihnen sein die auch von dem Herrn 
Berichterstatter bereits erwähnte Neuforderung für ein Konsulat in Tschangscha 
in der Provinz Hunan und die Erwägungen über eine weitere Konsulats-
	        
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