Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

 8 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 9.) 
             9. Januar. (Württemberg.) Eröffnung des Landtages durch 
den König. 
Aus der Thronrede: „Die erfreuliche Weiterentwicklung des Ver- 
kehrs wird für die Vermehrung und Verbesserung von Betriebsanlagen 
und Betriebsmitteln wie bisher bedeutende Aufwendungen verursachen. 
Wie die Stuttgarter Bahnbauten in stetiger Arbeit gefördert werden müssen, 
so soll durch Nebenbahnen und Einrichtung des Kraftwagenbetriebs der 
Verkehr im Lande entwickelt werden. Die planmäßige Fürsorge für alle 
Zweige des Unterrichtswesens wird Meine Regierung als eine ihrer vor- 
nehmsten Aufgaben betrachten. In der inneren Verwaltung steht neben 
den Maßnahmen zur Neuordnung auch dieses Zweiges des öffentlichen 
Dienstes eine Reihe gesetzgeberischer Arbeiten in Aussicht. Die berechtigten 
Wünsche der Körperschaftsbeamten nach weiterer Anpassung der für ihre 
Pensionierung maßgebenden Vorschriften an die Bestimmungen des staat- 
lichen Beamtenrechts sollen durch eine besondere, auch die Unterbeamten 
berücksichtigende Vorlage erfüllt werden, die ihnen sofort zugehen wird. 
Die Unfallfürsorge für die im Dienste verunglückten Beamten der Körper- 
schaften soll gleichzeitig im Gesetzeswege geregelt werden. Um den Gemeinden 
die Tragung ihrer wachsenden Lasten zu erleichtern, ist eine Erweiterung 
ihres Besteuerungsrechts, namentlich im Sinne einer Erhöhung des Anteils 
an der Einkommensteuer vorgesehen. Hierüber wird in Bälde eine Vorlage 
an Sie gelangen. Im Laufe der Landtagsperiode wird der Entwurf einer 
neuen Wegeordnung der ständigen Beratung unterstellt werden. Ich gebe 
mich der Hoffnung hin, daß die finanziellen Verhältnisse die Durchführung 
auch dieser für den Staat mit großen Opfern verknüpften Reform gestatten 
werden. Für die Neuordnung der Gebäudebrandversicherung nach den An- 
forderungen der Gegenwart ist ein Gesetzentwurf zu späterer Vorlage bereit. 
Endlich wird Ihnen Meine Regierung die fertiggestellten Gesetzentwürfe zur 
Regelung der Verwaltung der Staatseinnahmen und Staatsausgaben, sowie 
zur Einführung eines Rechnungshofes demnächst zugehen lassen.“ 
Aus dem Hauptfinanzetat für 1913 und 1914: Der Staats- 
bedarf beträgt für 1913 118 828 521   Mark, für 1914 121 692 658   Mark. 
Gegen den Etatssatz von 1912 ist das ein Mehr von 7,3 bezw. 10,2 Millionen. 
Die Einnahmen sind veranschlagt für 1913 aus 119 059 073 Mark, für 
1914 auf 122 018 620   Mark, wovon 63,1 bezw. 64 Millionen auf die 
Landessteuern fallen. Die Steigerung der Einnahmen wurde insbesondere 
durch die Einstellung höherer Erträge bei den Verkehrsanstalten und bei 
den direkten Steuern erreicht. Im ganzen ergibt sich ein Ueberschuß von 
230 552  Mark für 1913 und von 325 962  Mark für 1914. Es müssen 
aber für außerordentliche Bedürfnisse der Verkehrsanstalten und für die 
Landeswasserversorgung Anleihen im Gesamtbetrage von 42 Millionen 
Mark ausgegeben werden, die mit je 21 Millionen auf die beiden Jahre 
1913 und 1914 verteilt werden sollen. 
            9. Januar. (Reichstag.) Die Frage des Schächtens. 
Auf die Anfrage des Antisemiten Dr. Werner (Gießen), ob ein reichs- 
gesetzliches Verbot des Schächtens zu erwarten sei, hat Staatssekretär 
Dr. Lisco folgende schriftliche Antwort erteilt: „Dem Erlaß reichsgesetz- 
licher Vorschriften über das betäubungslose Töten der Schlachttiere, ins- 
besondere einem reichsgesetzlichen Verbot des Schächtens stehen grundsätz- 
liche Bedenken entgegen, weil es sich hierbei um Fragen handelt, deren 
Regelung zur Zuständigkeit der Einzelstaaten gehört. Den gleichen grund- 
sätzlichen Standpunkt hat die Reichsleitung im Jahre 1911 bei Beratung
	        
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