Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

208 Das Veufsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 18.) 
und speziell auch dem deutschen Volk drohen. Ich will mich beschäftigen 
mit den Praktiken und Schleichwegen unserer Militärlieferanten. 
Wir haben allerdings mit den Militärlieferanten schon öfter zu tun gehabt. 
Es ist bekannt, daß das Deutsche Reich von einer der größten Militär- 
lieferungsfirmen in bezug auf die Panzerplatten systematisch geprellt wurde; 
es ist bekannt, daß ein heftiger Kompf der dereinst zwischen zwei großen 
rheinischen Firmen tobte, schließlich beigelegt worden ist, indem die beiden 
sich in die Beute teilten. Der „Vorwärts“ war am vergangenen Montag 
in der Lage, zur Illustration dieses gemeinsamen Wirkens der Kriegs- 
interessenten zum Nutzen des deutschen Volks — sie betrachten dabei natür- 
lich sich allein als das deutsche Volk — einige Aktenstücke zu veröffentlichen, 
die ergeben, daß es in Deutschland einen Marineverständigungs- 
konzern gibt zwischen den verschiedenen Marinelieferanten, die sich gegen- 
seitig in einer scharfen Kontrolle halten und sich gegenseitig gewissermaßen 
den Profit garantieren. Es sind Formulare — die Meldezettel, die in 
dem Geschäftsverkehr dieser sauberen Gesellschaft in Anwendung sind — 
im „Vorwärts" abgedruckt worden. Der dokumentarische Beweis dafür, daß 
man hier einen BVampir am Leibe des deutschen Volkes sitzen hat, ist im 
„Vorwärts“ erbracht. Aber nun etwas weiteres. Vielleicht läßt sich der 
Herr Kriegsminister einmal die Akten gegen einen gewissen Herrn Schöps 
geben. Ich kann ihm das Aktenzeichen angeben: Landgericht III, Berlin, 
B 5, J. 675/10. In diesen Akten wird er allerhand interessantes Material 
über eine der größten deutschen Waffenfabriken finden, nämlich die „Deutsche 
Munitions= und Waffenfabrik“. Es befindet sich unter anderem in 
diesen Akten in Abschrift ein Brief, der an einen Agenten dieser Gesellschaft 
nach Paris gerichtet ist — nach Paris! — mit dem Geheimzeichen 8236. 
Dieser Brief lautet folgendermaßen: „Wir drahteten Ihnen soeben: „„Bitten 
unseren heutigen Brief in Paris abwarten.““ Grund dieser Depesche war, 
daß wir die Aufnahme eines Artikels in einer der gelesensten französischen 
Zeitungen, möglichst im „Figaro“, durchsetzen möchten, welcher folgender- 
maßen lautet: Die französische Heeresverwaltung hat sich entschlossen, die 
Neubewaffnung der Armee mit Maschinengewehren erheblich zu be- 
schleunigen und die doppelte Anzahl, als zuerst beabsichtigt, zu bestellen."“ 
So soll der Artikel im „Figaro“ lauten, einer der gelesensten französischen 
Zeitungen — dieser Artikel, inspiriert von der Deutschen Waffen= und 
Munitionsfabrik. Der Brief schließt damit: „Wir bitten Sie, alles auf- 
zubieten, um die Aufnahme eines derartigen Artikels zu erreichen.“ Unter- 
zeichnet ist der Brief: „Deutsche Munitions- und Waffenfabrik v. Gontard, 
Rosengarten.“ Dieser Brief beweist, daß unsere deutschen Rüstungsinteressenten, 
daß unsere großen deutschen Waffenfabriken, mindestens diese eine — sie 
ist ja vielleicht — ein weißer Rabe, kann ich nicht sagen, ein schwarzer 
Schimmel in diesem Falle — daß mindestens diese eine Fabrik sich nicht 
scheut, in französische Zeitungen falsche Nachrichten zu lancieren, die dahin 
deuten sollen, daß französische Heeresvermehrungen geplant waren. Zu 
welchem Zweck? Um das Vaterland zu retten? Um damit in Deutschland 
Stimmung machen zu können, damit sie Aufträge bekommen und gut Geld 
verdienen können, damit das Geld im Kasten klingen kann. Meine Herren, 
das ist doch ungemein bedeutsam! 
Der Vorstand der Gußstahlfabrik Friedrich Krupp, Essen an der 
Ruhr, unterhielt in Berlin bis vor wenigen Wochen einen Agenten namens 
Brandt, einen früheren Feuerwerker, der die Aufgabe hatte, sich an die 
Kanzleibeamten der Behörden der Armee und der Marine heranzumachen 
und sie zu bestechen, um auf diese Weise Kenntnis von geheimen Schrift- 
stücken zu erhalten, deren Inhalt die Firma interessiert. Was sie interessiert, 
 
	        
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