10 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 10.)
11. Dezember vorigen Jahres in Pforzheim angekündigten Vortrag eines
Jesuiten mit dem Thema „Die Wahrheit über den Jesuitenorden“ ver-
boten hat und hält er dieses Verbot mit seiner Erklärung vom 4. Dezember
über den Beschluß des Bundesrats vom 28. November für vereinbarlich?“
Staatssekretär Dr. Delbrück: Das Großherzoglich badische Ministe-
rium des Innern hat auf die Ankündigung eines für den 11. Dezember 1912
in Pforzheim zu haltenden Vortrages des Jesuitenpaters Cohauß über das
Thema „Die Wahrheit über den Jesuitenorden“ dem Genannten und den
Veranstaltern des Vortrages eröffnen lassen, der Vortrag dürfe nicht ge-
halten werden, da angenommen werden müsse, daß das religiöse Gebiet
berührt werde. Vom Standpunkte dieser Annahme aus entspricht die Ent-
scheidung dem Bundesratsbeschlusse vom 28. November 1912. Die Ent-
scheidung darüber, ob die Annahme selbst zutrifft, steht nicht dem Reichs-
kanzler zu. Hierüber haben allein die Landesbehörden im geordneten In-
stanzenzuge zu entscheiden. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß
die Entscheidung für den vorliegenden Fall gegenüber der bisher in Baden
geübten Praxis als eine gewisse Verschärfung gewirkt hat. Gegenüber der
herrschenden Uebung kann jedoch eine solche Verschärfung nur in vereinzelten
Fällen eintreten, da die vom Bundesrat gegebene Anweisung mit der Praxis
im Einklang steht, wie sie in der Mehrzahl der Bundesstaaten und im über-
wiegenden Teile des Reichsgebiets von jeher geherrscht hat. Die Schwierig-
keit der gleichmäßigen Ausführung der Vorschriften liegt weniger in ihrer
Auslegung als darin, daß ihre Durchführung im einzelnen Falle sich in
der Regel auf vorbeugende Maßnahmen wird beschränken müssen, da in
den Vorschriften des Gesetzes und der Verordnung der Nachdruck einer
Strafandrohung fehlt. Aus dem wesentlich präventiven Charakter des Ein-
schreitens erklärt es sich auch, daß die Behörden in Elsaß-Lothringen bei
geringen Abweichungen in der Fassung des Themas und gegenüber der
Versicherung des Vortragenden, das religiöse Gebiet nicht berühren zu
wollen, keinen Anlaß gefunden haben, den Vortrag in Straßburg zu be-
hindern. Solche Ungleichheiten in der Handhabung der Vorschriften würde
eine wie immer lautende Fassung des Bundesratsbeschlusses hindern können.
Wenn der Reichskanzler am 4. Dezember 1912 ausgeführt hat, daß es nicht
Zweck und Absicht des Bundesratsbeschlusses vom 28. November 1912 ge-
wesen ist, die bestehende Praxis zu ändern, so hat er die bisher allgemein
übliche ruhige und zurückhaltende Handhabung im Auge gehabt. Die hier-
über bei den Bundesregierungen bestehende Einigkeit rechtfertigt die Er-
wartung, daß auch künftig die Handhabung der Vorschriften von dem gleichen
Geiste getragen sein wird. (Lachen und Heiterkeit im Z.)
' Abg. Dr. Werner-Gießen (W. V.) fragt: „Beabsichtigt der Herr Reichs-
kanzler Schritte zu tun, um die immer brennender werdende Ausländer-
frage an den deutschen Hochschulen und Universitäten im Inter-
esse unseres Volkstums und unseres geistigen und wirtschaftlichen Lebens
gesetzlich zu regeln?“
Direktor im Reichsamt des Innern Dr. Lewald: Die Zulassung
von Ausländern an den deutschen Hochschulen gehört zur Zuständigkeit der
Einzelstaaten und wird von den beteiligten Bundesregierungen mit der
gebührenden Aufmerksamkeit verfolgt. Die Absicht, eine reichsgesetzliche
Regelung herbeizuführen, besteht nicht.
10. Januar. (Württemberg.) Ein konservativer Kammer-
präsident.
Bei der Wahl eines Präsidenten der Zweiten Kammer wird an
Stelle des nicht wieder kandidierenden Fortschrittlers v. Payer der kon-