Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

238 Das Denisqhe Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 10.) 
Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres und des Besoldungs- 
gesetzes, sowie zur Aenderung des Gesetzes über die Versorgung der 
Personen der Unterklassen des Reichsheeres, der kaiserlichen Marine 
und der kaiserlichen Schutztruppen von 1906 (des Mannschafts- 
versorgungsgesetzes) auf Grund des mündlichen Berichts der Budget- 
kommission. 
Die Kommission hat die geforderte Erhöhung der Friedens- 
präsenzstärke bis auf einen Abstrich von 15 Eskadrons (3 von den 6 neu 
geforderten Kavallerieregimentern) bewilligt; ein Antrag Bassermann will 
auch hier die Forderung der Vorlage in vollem Umfange genehmigen. Mit 
zur Erörterung gestellt wird ein großer Teil der von der Kommission zu 
der Vorlage beschlossenen Resolutionen. Berichterstatter Gans Edler Herr 
zu Putlitz hebt aus den Verhandlungen der Kommission hervor, daß der 
überwiegende Teil der Kommission anerkannt habe, daß die in der Be- 
gründung der Vorlage betonte politische Lage ein Grund zur Einbringung 
der Vorlage gewesen ist, ebenso herrschte auch bei dem weitaus größten 
Teil der Kommissionsmitglieder kein Zweifel, daß genügendes Menschen- 
material vorhanden ist, um den durch die Erhöhung der Friedenspräsenz- 
stärke erforderlichen Bedarf zu decken. 
Abg. Noske (Sd.): Man hat das Volk über die politische Lage 
graulich zu machen verstanden, ein ernsthafter Grund zu einem Kriege 
zwischen den großen europäischen Kulturstaaten hat tatsächlich in den letzten 
Jahren nicht bestanden. Nur Reibereien und Hetzereien der Rüstungs- 
interessenten haben eine Beunruhigung verbreitet, aber auch diese hat ab- 
geslaut. Zurzeit liegt nach meiner festen Ueberzeugung gar kein Grund 
dazu vor, vermehrten Rüstungen zuzustimmen. Es ist nicht wahr, daß 
Deutschlands Sicherheit auf irgendeine Weise ernstlich bedroht ist. Von 
drohenden Gewitterwolken am politischen Himmel sieht man nichts, und 
die Besuche der Regierenden großer Länder in den letzten Wochen, die ver- 
schwenderischen Feste, die mit unglaublicher Pracht geseiert worden sind, 
während unsere Volksgenossen nicht Brot genug haben, beweisen das zur 
Genüge. Wir sind nicht geneigt, die Bedeutung von Fürstenbesuchen zu 
überschätzen, aber der Besuch des Königs von England und die Anwesenheit 
des Zaren in Deutschland waren von politischer Bedeutung. Die europäischen 
Machtverhältnisse sollen durch den Balkankrieg verschoben worden sein. 
Deutschlands Stellung ist dadurch in keiner Weise tangiert worden. Die 
türkische Macht hätte lediglich als Faktor in Rechnung gestellt werden können, 
wenn es zwischen Deutschland und England zu einem Kriege gekommen 
wäre. Der Gedanke einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Deutsch- 
land und England ist immer Wahnwitz gewesen, und man hat damit 
bei dieser Heeresvermehrung nicht gerechnet; zudem hat sich der jetzige 
Reichskanzler für die Verbesserung der deutschlenglischen Verhältnisse ein- 
gesetzt, und diese Verhältnisse haben sich gebessert. Die bessere Aussicht 
darauf, daß das Wettrüsten zwischen England und Deutschland nicht fort- 
gesetzt werden solle, scheint aber gewissen Leuten im Deutschen Reich gegen 
den Strich zu gehen, und die Aeußerung des Ministers Churchill, daß die 
von Kanada abgelehnten drei Panzerschiffe von England selbst gebaut 
werden sollten, hat eine neue kräftige Hetze in der deutschen kapitalistischen 
Presse veranlaßt. Dabei waren, als vor Monaten die Frage eines festen 
Verhältnisses der Flottenstärke zwischen Deutschland und England besprochen 
wurde, diese drei Schiffe schon mit in Rechnung gestellt. Unsere Stellung 
gegen den weiteren Flottenausbau hätte allerdings eine Stärkung erfahren,
	        
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