16 Das Denisqhe Reiqh und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.)
nicht, daß Straftaten Jugendlicher nach deren Eigenart grundsätzlich eine
andere Beurteilung erheischen als die Straftaten Erwachsener, und daß da,
wo einem Erwachsenen gegenüber zweifellos Strafe angezeigt ist, einem
Jugendlichen gegenüber nicht selten Erziehungsmaßregeln weit besser an-
gebracht sind; und ferner, daß Strafverfahren und Strafe unter Umständen
viel mehr Schaden anstiften als Nutzen.
Es ist der Vorlage das Bedenken entgegengestellt worden, daß sie
geeignet sei, den Ernst der Strafrechtspflege abzuschwächen. Dieses
Bedenken halte ich für unberechtigt. Die Vorschläge des Entwurfs gehen
keineswegs darauf hinaus, daß der Staat sich gegen Straftaten jugendlicher
Uebeltäter passiv verhalten soll; nur die Art der Reaktion soll geändert und
zweckmäßiger gestaltet werden. In jedem Falle, in dem nach diesem Ent-
wurf auf Strafe verzichtet wird, müssen nach den Vorschriften des Ent-
wurfs Erziehungs= und Besserungsmaßregeln getroffen werden. Damit wird
in zahlreichen Fällen dem Jugendlichen wie der Allgemeinheit weit besser
gedient werden als durch eine Strafe, die da, wo nach Lage des Falles
eine Strafe nicht angebracht ist, vom Richter doch naturgemäß nur gelinde
bemessen werden kann. Auch hierfür möchte ich einige Zahlen anführen,
die für Sie von Interesse sein werden und für die Beurteilung des Ent-
wurfs maßgebend ins Gewicht fallen. Von den vorher erwähnten 51315
Jugendlichen, die im Jahre 1910 wegen Verbrechens oder Vergehens ver-
urteilt wurden, sind verurteilt worden zu einem Verweise 14819 Jugend-
liche, also über ein Viertel dieser sämtlichen Verurteilten; zu Geldstrafe
sind verurteilt 9957 Jugendliche, also rund ein Fünftel, und zu Freiheits-
strafe von weniger als 8 Tagen sind verurteilt 11844, also auch wieder
rund ein Fünftel aller Jugendlichen. Nun, meine Herren, daß derartige
Strafen, Verweis, Geldstrafe, Gefängnisstrafe unter 8 Tagen, nicht geeignet
sind, einen verwahrlosten Jugendlichen auf den rechten Weg zurückzuführen,
das bedarf keiner Erörterung.
Abg. Stadthagen (Sd.): Dringend erforderlich ist es, die Frauen
hereinzuziehen, wenn Sie überhaupt das Gebilde der Schöffen bestehen.
lassen wollen. Die Nichtberücksichtigung der Frauen als Schöffen ist ein
Mangel, der geradezu unverzeihlich ist. Die Frauen sind zur Erziehung
berufen, und es ist die ganz selbstverständliche Folge, daß da, wo im wesent-
lichen die Erziehung in Frage kommt, selbst wenn man im übrigen rück-
sichtlich der Befähigung der Frauen zum Richteramt auf einem anderen
Standpunkt steht — den ich natürlich nicht teile —, man unter allen Um-
ständen die Frauen auch als Schössen zuziehen muß. Die Hauptbedenken
gegen die Vorlage sind einmal, daß der Staatsanwalt entscheiden soll, ob
Anklage erhoben wird oder nicht. Es liegt nahe, daß der Staatsanwalt
wesentlich politische, außer der Sache liegende Gründe gelten läßt, und daß
der Verdacht der Klassenjustiz noch größer wird. Die Behörde, die ein-
zugreifen hat, ist naturgemäß die Vormundschaftsbehörde. Wir haben
ja freilich nicht überall Richter als Vormundschaftsbehörde. Ich erinnere
nur an Mecklenburg, wo Gutsvorsteher und ähnliche Leute die Vormund-
schaftsbehörde bilden. Ganz entschieden muß ich mich dagegen aussprechen,
daß man die Kinder eventuell der Zwangserziehung überweist. Wir
haben leider kein Reichszwangserziehungsgesetz. Aber die Resultate, die
insbesondere aus Preußen vorliegen, berechtigen mich, zu sagen, die Zwangs-
erziehungsanstalten sind heute in einer Art geleitet, daß man leider sagen
muß: dort wird aus guten Elementen der Ingendlichen das Menschliche
herausgeklopft, sie werden geradezu zu Verbrechern erzogen, und es ist er-
freulich, daß nicht eine noch größere Zahl von Jugendlichen durch die so-
genannte Zwangserziehung, die schlimmer als Zuchthaus, schlimmer als