Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

18 Bas Veutsche NReich und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.) 
bündeten Regierungen wie bei dem Reichstage heute vorhanden, daß es 
schwer möglich sein würde, die gesamte Materie des Strafprozesses und 
der Gerichtsverfassung heute zur Regelung zu bringen, und so werden wir 
wohl nicht umhin können, eben einzelne Materien herauszugreifen. Diese 
Materie ist die eine; andere werden im Laufe der Jahre folgen — folgen 
müssen. In erster Linie müssen wir das Alter der Verfolgbarkeit 
vom 12. aus das 14. Lebensjahr heraufsetzen. Ich glaube, es gibt da heute 
sehr wenig abweichende Anschauungen in bezug auf diese Bestimmungen. 
Wir können weiter in unser Gesetz die bedingte Verurteilung an Stelle 
der bedingten Begnadigung herübernehmen und endlich die Rehabilitation, 
alles Bestimmungen, die nach meiner Auschauung tatsächlich eine ganz 
wesentliche Verbesserung des Jugendstrafrechts bedeuten würden. Wenn wir 
zu dem Jugendgericht Schöffen heranziehen, würde es sich nicht empfehlen, 
dann, wenn Mädchen als Angeklagte erscheinen, auch wenigstens eine Frau 
als Schöffin heranzuziehen? Ich beiahe diese Frage, ich glaube, daß die 
Frau, wenn es sich um Mädchen als Angeklagte handelt, besser als der 
Mann in der Lage ist, die Psyche des Kindes zu verstehen nach der guten 
und nach der schlechten Seite. Ich will also nicht nur um deswillen die 
Frau in das Jugendgericht hineinbringen, weil ich glaube, daß sie ebenso 
gut wie der Mann das machen wird; nein, ich gehe weiter, ich glaube, 
daß sie in gar manchen Fällen ihre Aufgabe besser lösen kann. Ich glaube, 
daß sogar manchmal ein Mann durch die entsprechenden Tränenströme eines 
Mädchens sich viel eher verleiten lassen könnte zu einem zu milden und zu 
einem falschen Urteil als die Frau, die ihre Geschlechtsgenossinnen kennt. 
Und so meine ich, daß es nicht nur ein Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, 
sondern auch ein Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit ist, wenn wir hier die 
Frau als Schöffin dann zulassen, wenn es sich um ein Mädchen als An- 
geklagte handelt. 
Abg. Dr. Giese (K.): Wir sind damit einverstanden, daß als Schöffen 
bei den Iugendgerichten möglichst solche Personen zugezogen werden, die 
besondere Erfahrungen auf dem Gebiete der Jugendfürsorge haben, wie 
z. B. Lehrer, Handwerksmeister und dergleichen. Daß bei den Jugend- 
gerichten auch Volksschullehrer zugezogen werden dürfen, halten wir für 
sehr erwünscht. Dagegen bedaure ich, der Meinung meines hochverehrten 
Herrn Vorredners wegen der Zuziehung der Frauen als Schöffen nicht 
beitreten zu können. Das Richten ist ein rauhes, ein strenges, ein ernstes 
Amt, und wir haben viel zu viel Verehrung, viel zu viel Respekt und viel 
zu viel Liebenswürdigkeit den Damen gegenüber, als daß wir ihnen ein 
solches schweres, strenges und rauhes Amt anvertrauen möchten. Wir meinen 
auch, daß bei der Frau oft das Herz und das Gefühl allzusehr mit dem 
Verstande durchgehen würde, und können uns nicht denken, daß die Richter- 
sprüche besonders an Objektivität gewinnen würden, wenn Frauen als 
Schöffen zugezogen werden. 
Für die Einschränkung des Legalitätsprinzips erscheint uns die 
Grenze des jugendlichen Alters im Entwurf aber etwas zu weit 
gespannt. Nach dem Entwurf ist jugendlich derjenige, der noch nicht 
18 Jahre alt ist. Meine Herren, wir sind der Meinung, daß jeder, der 
das 16. Lebensjahr vollendet hat, sich in der Regel in einem Zustande der 
Reife befindet, daß, wenn er frevelt, von einer Anklage nicht abgesehen 
werden darf, daß bei einem solchen Alter Besserungsmaßregeln keinen Erfolg 
versprechen, daß bei Personen zwischen 16 bis 18 Jahren es bei dem alten 
Prinzip, daß Schuld Strafe verdient, verbleiben muß. Wir dürfen auch 
nicht zu weichlich werden. Ich meine, daß gerade im bezeichneten Alter 
die meisten und unangenehmsten Roheitsdelikte begangen werden, ja, daß
	        
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