Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

312 Ns Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (September 14. -20.) 
vorstandes wird mit großer Mehrheit angenommen. Dagegen stimmten nur 
zwei Delegierte bei einigen Stimmenthaltungen. 
Reichstagsabg. Dr. Frank (Mannheim): Bei der Kritik der Haltung 
der Fraktion zur Militärvorlage hat man nicht berücksichtigt, daß wir dies- 
mal wie nie zuvor von Anfang an planmäßig den Kampf Hand in Hand 
mit den Franzosen geführt haben. Sonst behauptet die französische Bour- 
Foisie immer, daß wir die besseren Patrioten seien, und das deutsche 
ürgertum behauptet dasselbe von unseren französischen Freunden. Diesen 
Behauptungen haben wir von vornherein durch unser gemeinsames Vor- 
gehen die Spitze abgebrochen. Die Berner Konferenz wird nicht die letzte 
sein. Es besteht der Plan, im Herbst eine neue Zusammenkunft der 
Parlamentarier beider Länder einzuberufen. Die Verständigung ist über 
viele Punkte möglich, z. B. über die Frage der Fremdenlegion. (Beifall.) — 
Reichstagsabg. Cohen (Reuß): Wenn Rosa Luxemburg sich auf die Volks- 
bewegung gegen die französische Militärvorlage beruft, so übersieht sie, was 
in Frankreich vor sich ging. Die Einführung der dreijährigen Dienstzeit 
bedeutet mehr als die Einstellung von 60 000 Mann. Sollte bei uns die 
Einführung der dreijährigen Dienstzeit geplant werden, so wird das auch 
in den Volksmassen eine große Erregung hervorrufen. Aber täuschen wir uns 
doch darüber nicht, daß die Massen der Arbeiter nicht solche Antimilitaristen. 
sind, wie wir es wohl möchten. (Sehr richtig!) Es mag das bedauerlich sein, 
aber es ist Tatsache. Was Noske von den Grenzbezirken sagte, ist durch- 
aus zutreffend, nämlich, daß in den Grenzbezirken die Arbeiter sich vor 
dem Feind fürchten. Unter denen, die sich fürchten, befinden sich auch 
Arbeiter, die zu uns gehören. — In der Abstimmung wird der Antrag 
Schwarzburg-Rudolstadt, der vollzählige Anwesenheit der Abgeordneten 
bei wichtigen Abstimmungen verlangt, und der Antrag Colmar für volle 
republikanische Autonomie und staatsrechtliche Gleichberechtigung Elsaß- 
Lothringens angenommen. 
Reichstagsabg. Hoch (Hanau): Wir haben verschiedene Richtungen 
in der Partei, und das ist ein Segen. Aber dann soll man auch den Mut 
haben auszusprechen, daß die Mehrheit in der Fraktion den Kampf gegen 
die Militärvorlage als aussichtslos aufgegeben hat, während wir der Ansicht 
sind, daß eine Minderheit im Volke, die die Welt erobern will, den Kampf 
gegen das, was sie für verwerflich hält, mit aller Kraft führen muß, auch 
wenn der Kampf schwer ist. (Lebh. Beifall, Unruhe, Lachen.) 
Frau Dr. Rosa Luxemburg: Mit den letzten Besitzsteuern ist in 
unseren Reihen ein Sums erhoben worden von einer neuen Epoche, die 
mit der Besteuerung der Besitzenden anheben sollte. (Lebhafte Unterbrechung.) 
Die Arbeiter, diese schlichten Leute, müssen in den Glauben versetzt werden, 
es beginne die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft. Grundsätzlich 
kann ich nur erklären, daß es durchaus richtig ist, daß man von zwei 
Uebeln das geringere wählen muß. Aber wir müssen fragen, was das 
kleinere Uebel ist: der Verzicht auf einen kleinen positiven Erfolg, oder die 
Preisgabe der grundsätzlichen Stellungnahme der Partei. Wenn der Partei- 
tag sich auf den Boden des Mehrheitsbeschlusses stellt, muß er auch dazu 
kommen, daß, wenn Krieg ausbricht und wir an dieser Tatsache nichts 
mehr ändern können, die Fraktion für die Bewilligung der Kriegskosten 
eintreten müsse. (Lebh. Unterbrechung.) Auf dieser schiefen Ebene gibt es 
kein Halten mehr. (Zustimmung und Widerspruch.) — (Ueber die Schluß- 
verhandlung siehe 20. September.) 
15. September. (Darmstadt.) Kommerzienrat Dr. Louis 
Merck, Senior der Firma E. Merck. Chemische Fabrik, k. 59 Jahre alt.
	        
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