Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 30.) 345 
Unterschied gegenüber einer Fassung, die wir vorgeschlagen hätten, nicht so 
erheblich ist, wie er nach dem formalen Unterschied zunächst erscheinen 
könnte. Tatsächlich wird ja auch der Regent, ehe er sich entschließt, die 
Regentschaft für beendet zu erklären, sich durch Vermittlung des Mini- 
steriums der Zustimmung des Landtages versichern müssen, da er sich un- 
möglich einer nachträglichen Ablehnung aussetzen kann. Auf der anderen 
Seite aber wird auch der Landtag, wenn ihm zwingende Gründe für die 
Beendigung der Regentschaft vorgelegt werden, die Zustimmung nicht ver- 
weigern. Meine Freunde sehen also die Forderungen, die wir bezüglich 
des Mitwirkungsrechtes des Landtages gestellt haben, als in der Hauptsache 
tatsächlich erfüllt an und verzichten deshalb auch auf Abänderungsanträge. 
Dabei kann ich aber nicht umhin, namens meiner Freunde unserer Ver- 
wunderung Ausdruck zu geben, daß die Begründung der Vorlage das Mit- 
wirkungsrecht des Landtages durch die Hervorhebung des „Gottesgnaden- 
tums“ in so auffallender Weise in den Schatten stellt. Man hätte das 
bei aller Rücksichtnahme auf die legitimistischen Kreise denn doch ver- 
meiden sollen! Monarchische Gesinnung — das mögen sich diese Kreise 
und auch die Regierung gesagt sein lassen — ist nicht gleichbedeutend 
mit der Anerkennung des Gottesgnadentums. Für dieses letztere wird 
man in breiten Kreisen des Volkes, die treu zu ihrem Herrscher stehen, 
wenig Verständnis finden, um so weniger, als doch nicht zu bestreiten ist, 
daß aus einer populären Bewegung heraus der Anstoß zu der jetzigen 
gesetzgeberischen Aktion gekommen und die Beseitigung der Hindernisse 
erfolgt ist! Wenn wir der Vorlage zustimmen, sind wir uns der großen 
Verantwortung voll bewußt, die wir damit auf uns nehmen. Möge die 
Entscheidung des Hauses dem Vaterlande zum Segen gereichen! (Lebhafter 
Beifall b. d. L.) 
Abg. Beckh (F. V.) erklärt im Namen seiner Freunde seine Zu- 
stimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, der dem bayerischen Volk 
wieder einen regierungsfähigen König gebe, der ihm in guten und bösen 
Tagen ein Berater sei. 
Abg. Lutz (Bayr. Bbd.) erklärt namens seiner Parteifreunde eben- 
falls die Zustimmung zur Regierungsvorlage. Wir sind der Meinung, daß 
juristische und staatsrechtliche Bedenken vor den genannten gewichtigen 
Interessen von Krone und Land zurückzutreten haben. 
Ministerpräsident Frhr. v. Hertling: Wie der Abg. Dr. Casselmann 
mit Recht hervorhebt, schließt sich der Wortlaut des Artikels 21 Absatz 2 
in der Fassung der Regierungsvorlage an den Wortlaut der Bestimmung 
der Verfassung an, die von der Einsetzung der Regentschaft handelt. Aus 
dieser Anlehnung ergibt sich bereits die Auslegung. Wenn der Absatz 2 
vorsieht, es seien dem Landtag die Gründe anzugeben, die für die Zu- 
stimmung zur Aufhebung der Regentschaft maßgebend sind, so kann über 
den Sinn dieser Vorschrift kein Zweifel bestehen: Wer gefragt wird, ob 
er zustimmt, der muß nicht zustimmen; wer gefragt wird, ob er zu- 
stimmt, kann „ja“ und „nein“ sagen. Ich glaube, daß die weitere Ver- 
folgung dieses Gedankens nur dem Gebiete der Theorie angehört. Keine 
Regierung wird so blind und töricht sein, eine Vorlage an den Landtag 
zu bringen, wenn die Gründe, die sie dazu hat, nicht so evident wären, 
daß die Zustimmung nicht verweigert werden könnte. Sind aber die Gründe 
der Regierung stichhaltig, dann wird sich kein Landtag finden, der in einem 
solchen Falle die Zustimmung verweigert. Ich glaube auch, daß keine Re- 
gierung so unvorsichtig sein wird, sich nicht vor der Einbringung einer 
solchen Vorlage der Zustimmung der Majorität des Landtages im voraus 
zu vergewissern.
	        
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