Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 16.) 23 
16. Januar. (Elsaß-Lothringen.) Fortsetzung der Etats- 
debatte in der Zweiten Kammer. Wetterlés Vorträge. 
Abg. Hauß (Z.) richtet schwere Angriffe gegen die Regierung, ins- 
besondere die Schulverwaltung. Er tadelt die Nachgiebigkeit der Regierung 
gegen die alldeutsche Presse, wobei er Offizieren des Generalstabs den Vor- 
wurf macht, sich in alldeutschen Zeitungen an der Hetze gegen die reichs- 
ländische Regierung zu beteiligen. Er sei auch bereit, diese Maulwürfe nam- 
haft zu machen. Schließlich gibt Redner namens des Zentrums folgende 
Erklärung ab: „Jeder Elsaß-Lothringer hat die Pflicht, eine Politik der 
Versöhnung zu treiben. Meine Fraktionsgenossen müssen es daher verurteilen 
und bedauern, daß eines dieser Mitglieder sich dieser Pflicht entzogen hat. 
Zwar entspricht der Vortrag des Abgeordneten Wetterlé nicht dem, was 
die liberale Presse in leicht durchsichtiger Absicht berichtete. Nichtsdestoweniger 
hätte dieser Vortrag unterbleiben müssen, da Zeit und Umstände außer- 
ordentlich ungünstig waren.“ 
Staatssekretär Frhr. Zorn von Bulach antwortet auf die Anfrage 
über die Instruierung der Bundesratsbevollmächtigten in der Jesuitenfrage, 
daß die Bundesratsvertreter für eine Milderung in der Anwendung des 
Gesetzes einzutreten angewiesen worden wären. Hinsichtlich des Falles 
Wetterlé spricht er sein Bedauern darüber aus, daß das Zentrum den 
Abgeordneten nicht ausgeschlossen habe, der die Bewegungsfreiheit und 
parlamentarische Bedeutung seiner Fraktion sehr vermindere. Wetterlé sei 
Schuld daran, wenn man in der Verfassungsfrage nicht weitergekommen sei. 
Die Verurteilung seiner Hetzereien sei auch im Reichslande allgemein. — 
Abg. Wetterlé erklärt: „Es handelt sich in meinem Falle um eine 
kolossale, gegen mich künstlich inszenierte Hetze. Ich nehme kein Wort von 
dem zurück, was ich gesagt habe, und es fällt mir gar nicht ein, mich zu 
entschuldigen, denn der Inhalt der Vorträge ist einwandfrei gewesen. 
Wenn man die in den letzten Tagen mir zugegangenen Drohbriefe liest, 
wird man verstehen, warum ich dieser Kultur eine feinere Kultur vorziehe.“ — 
Staatssekretär Frhr. Zorn v. Bulach fragt den Vorredner, warum er 
seinen Schlußsatz beim Vortrage in Rouen denn nicht vollendet habe. 
Er wirft ihm vor, daß er in der französischen chauvinistischen Presse und 
bei Männern wie Déroulede, die von dem Revanchegedanken leben, eine 
Rolle spiele, die unvereinbar sei mit seinen Pflichten als Reichstags- und 
Landtagsabgeordneter. Wenn auch seine Vorträge dem Wortlaute nach 
einwandfrei seien, so sei doch die Absicht einer Kriegshetze unwiderleglich 
erwiesen. — In einer persönlichen Bemerkung erwidert Abg. Wetterlé, daß 
er daran gehindert worden sei, seinen Schlußsatz in Rouen zu vollenden. 
Im übrigen sei er nicht aus Anraten seiner Freunde zurückgekehrt, sondern 
weil er bei der Eröffnung des Landtags nicht fehlen wollte. 
16. Januar. (Elsaß-Lothringen.) Wetterlés Erklärung 
im Landtag. 
Er führt aus: „Der Staatssekretär hat gegen mein Auftreten in 
Frankreich in scharfer Weise protestiert. Wenn er mir das Versprechen 
geben kann, daß morgen unsere politischen Forderungen: Gewährung der 
Autonomie, die Forderungen in der Sprachenfrage, nach Aufenthaltserlaub- 
nis der Refraktäre, bei der Anstellung von Beamten usw. erfüllt werden, 
so scheide ich morgen aus dem politischen Leben aus. Ja, ich werde dann 
selbst an meine Kollegen den Antrag stellen, daß sie mich aus ihrer Fraktion 
hinauswerfen. Hier möchte ich zunächst ein Wort auf die Anspielungen 
auf meine Abstammung sagen. Meine Väter sind mindestens so lange
	        
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