Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

358 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (November 21.) 
Berlin II erklärte der Reichstagsabg. Richard Fischer in einem Vortrag 
über „Die nächsten Aufgaben des Reichstages“: Er erwarte heiße Kämpfe, 
hitzige Debatten, aber nur geringe Erfolge. In Berlin III klagte Pohl im 
Vorstandsbericht, daß eine große Laschheit bei den Parteiarbeiten eingerissen 
ist. Das habe sich besonders gezeigt bei den Landtags- und den letzten 
Stadtverordnetenwahlen. In Berlin IV wies Paul Hoffmann im Geschäfts- 
bericht darauf hin, daß in diesem Wahlkreis die Zahl der Parteimitglieder 
um 2816 geringer ist als 1912. Gegen mehrere größere Arbeitersängerchöre 
wurden hier „ziemlich heftige“ Vorwürfe gerichtet, „weil u. a. der Partei- 
eist in ihnen nicht zum Rechte komme“. In Berlin V wurde vom Vor- 
sitzenden Friedländer erklärt: Gewiß sei die wirtschaftliche Depression der 
Hauptgrund des Mitgliederrückganges, aber es müßte doch untersucht werden, 
ob nicht auch eine gewisse Lässigkeit der Mitglieder dabei mitspielt. In 
Berlin VI klagte Krüger: Der Rückgang der Mitglieder ist ein sehr starker 
gewesen. Die Ursachen sind aber noch nicht gefunden worden. In den 
Fabriken können wir so leicht nicht an die Indifferenten heran. In unseren 
Organisationen hat sich eine gewisse Oligarchie entwickelt; es hat sich ein 
Ton eingebürgert, der es uns sehr schwer macht, neue Mitglieder zu gewinnen. 
           21. November. (Bayern.) Die Abgeordnetenkammer ge- 
nehmigt die Erhöhung der Zivilliste von 4231000 auf 5400000 Mark. 
In der Debatte stattet der Referent des Finanzausschusses, der Abg. 
Giehrl (3.) Bericht ab. 
Finanzminister v. Breunig begründet die Regierungsvorlage: Das 
Sinken des Geldwertes, die Steigerung der Lasten für Theater, Hofgärten, 
das Personal usw. um etwa zwei Millionen seit dem Jahre 1831, ferner 
das wachsende Defizit, das bisher aus dem privaten Vermögen des Königs 
Otto und der Prinzen ausgeglichen worden sei, habe die Vorlage notwendig 
gemacht. Zum Schluß erinnert der Minister an den Etat von 1819, der 
bei nur 53 Millionen Mark 4800000 Mark für die Zivilliste ausweise. 
Heute beziffere sich der Etat des Staates auf 873 Millionen Mark. 
Dr. Müller-Hof spricht für den liberalen Kompromißantrag, mit 
dessen Annahme wohl eine Sanierung der Hoffinanzen durchzuführen mög- 
lich sei. Die Kritik der Liberalen gelte selbstverständlich nicht dem König 
und dem Königlichen Hause, sondern nur gewissen Hofstellen und deren 
unglaublicher Mißwirtschaft. Auch könnte mancher Besitz des Königlichen 
Hofes wirtschaftlich besser ausgenutzt werden, als dies bisher geschehen sei. 
Dr. Müller beklagte weiter das mangelnde parlamentarische Solidaritäts- 
gefühl der bayerischen Kammer gegenüber dieser Regierung. Reiche die 
von den Liberalen angebotene Summe nicht zur Sanierung der Hoffinanzen 
aus, dann solle man zu der Volksvertretung das Vertrauen haben, daß sie, 
wenn der Nachweis geliefert sei, weiter helsen werde. 
Darauf nahm der Abg. Held (Z.) das Wort. Er sprach sich namens 
seiner Partei für die Vorlage der Regierung aus. 
In namentlicher Abstimmung wird der Zusatzantrag Müller-Hof mit 
122 gegen 39 Stimmen abgelehnt und der Regierungsantrag, der die er- 
höhte permanente Zivilliste auf 5400000 Mark festsetzt, mit 110 gegen 
50 Stimmen angenommen. Da dieser Regierungsantrag zur Annahme 
eine Zweidrittelmehrheit erfordert, die damit gegeben ist, so ist dadurch der 
Gesetzentwurf angenommen. 
          21. November. (Mecklenburg.) Steuerfragen. 
Der ordentliche Landtag wurde in Sternberg eröffnet. Beide Re- 
gierungen fordern ein Edikt im Betrage von zehn Zehnteln nach dem neuen
	        
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