Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

382 Hos Neutsche Reith und seine einelnen Glieder. (Dezember 3.) 
geschehen. Man hat auf dem Schloßplatz in Zabern auf 15, 20 Leute 
50 Soldaten aufmarschieren lassen. Ich meine: das ist doch eine eigen- 
tümliche Art der Kriegsbetätigung, wenn man derartige Dinge begeht, 
wobei scharf geladen wird, das erste Glied niederknien und das zweite an- 
legen muß, — und kein Leutnant, sondern ein Oberst, kein 20jähriger 
Leumant, sondern ein 50- oder 55 jähriger Oberst steht dahinter, komman- 
diert — natürlich hinter der Front, nicht vorne — hinter seinen Sol- 
daten gegenüber zwanzig Zaberner Bürgern. Ich meine: wenn derartige 
Dinge passieren können, so zeigt das, wie weit es der Militarismus bei 
uns gebracht hat, zeigt den Gipfelpunkt, den der Militarismus erreicht 
bat dadurch, daß v. Forstner mit seinem Säbel einen lahmen Schuhmacher 
riegsunfähig gemacht hat. Aber daß da die Militärbehörde das rechte 
Wort am richtigen Ort nicht gefunden hat, daß sie den Leutnant nicht sofort 
versetzte, das beweist uns, daß eben die ganze Militärbehörde sich mit ihm 
einig und solidarisch fühlt. Auch andere Leute haben verlangt, daß der 
Leutnant versetzt werde. Wenn das geschehen wäre, wenn die Militär- 
behörde ihn nicht gedeckt hätte, dann wären die Dinge wahrhaftig nicht so 
ausgewachsen, wie es tatsächlich geschehen ist. Aber nicht nur, daß man 
den Leutnant nicht versetzte, sondern auch der Herr Oberst, der wegen 
anderer Dinge unmöglich geworden war, der bereits seinen Abschied hatte, 
mußte wieder zurückkommen, der Abschied wurde rückgängig gemacht, er 
wurde am Bahnhof mit allen Ehren wieder empfangen, er kam im Triumph 
als Sieger zurück. Gerade weil man in der Oeffentlichkeit seinen Abschied 
verlangt hatte, gerade deshalb hat Herr v. Deimling das Wort gesprochen: 
„Nun erst recht; die Zivilkanaille will, daß ich einen Obersten entlasse, daß 
ich einen Leutnant versetze, — nein, das geschieht nicht!“ Schon darum 
sage ich: der wahre Schuldige an diesen Dingen ist mit dem Kriegsminister, 
und zwar in allererster Linie, der Herr v. Deimling. Das ist sogar der 
Hauptschuldige. Herrn v. Deimling, den Sieger vom Hererolande, hat 
man ausgerechnet nach den Reichslanden geschickt. M. H., einst fiel aus 
kaiserlichem Munde das stolze Wort: civis germanus sum. Gleichwie die 
Römer einst mit Stolz sich als Bürger des römischen Reichs fühlen durften, 
so soll und darf sich auch der deutsche Bürger stolz als Glied des herr- 
lichen Deutschen Reichs fühlen. Die Zaberner Bürger, deren Vorfahren 
das römische Reich auch kannten, haben in diesen Tagen einen netten Vor- 
geschmack von all diesen Herrlichkeiten erfahren, als man sie in den Pan- 
durenkeller gesteckt hat. Vorläufig haben sie keine Veranlassung, zu sagen: 
civis germanus sum. Was den Zabernern aber heute passiert, kann denen 
anderswo in Holzminden oder in Wesel oder in Buxtehude auch passieren. 
Wenn in Venezuela oder Mexiko einem deutschen Staatsbürger der Hut 
eingetrieben wird, dann erhebt sich hier zu Lande ein mörderlich Geschrei, 
dann ist die deutsche Ehre besudelt, dann muß ein deutsches Kriegsschiff 
in See stechen, dann gilt es, den deutschen Staatsbürger zu schützen. Soll 
dieser deutsche Staatsbürger, so frage ich den Herrn Reichskanzler, nicht 
auch innerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs Anspruch auf Schutz 
haben? Ich meine doch, Herr Reichskanzler! Dafür haben Sie zu sorgen, 
daß dem beleidigten elsaß-lothringischen Volke volle Genugtuung wird, daß 
die Hochverräter — ich wiederhole das Wort — in gebührende Strafe ge- 
nommen werden. Tun Sie das nicht, Herr Reichskanzler, dann wird man 
im Auslande den civis germanus als ein verächtlich Ding ansehen, und 
Deutschland wird in den Augen des Auslandes auch weiterhin hinter Vene- 
zuela und hinter Mexiko rangieren. 
Abg. Hauß (Els. L.): M. H., die Mitglieder der elsaß-lothringischen 
Gruppe im Reichstag richten an den Herrn Reichskanzler die Fragen:
	        
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