Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 22.) 27
der Stärkung der heimischen Produktion. Er hoffe, daß die Verhandlungen
zwischen Kommunen und landwirtschaftlichen Genossenschaften über Fleisch-
lieferungen doch noch Erfolg hätten. Es sei aber zu beachten, daß die land-
wirtschaftlichen Genossenschaften sich in ihrem Interesse nur an langfristige
Verträge binden könnten. Die Maul- und Klauenseuche sei in Preußen
fast erloschen; das Löfflersche Serum biete wegen der großen Kosten nur
geringe Aussicht. Der Abschluß der Brüsseler Konvention habe einen noch
größeren Rückgang der Zuckerpreise verhindert. Auf Bemerkungen des Abg.
Dr. Pachnicke Fortschr. Vp.) entgegnete der Minister, daß eine Beseitigung
der Futtermittelzölle nicht im Interesse der Landwirtschaft liege, weil sie
lediglich dem Handel und nicht den Produzenten oder Konsumenten zu-
gute käme. Die Entscheidung der Frage, ob die Futtermittelzölle der Vieh-
zucht schaden, müsse den beteiligten Kreisen überlassen werden. Er erblicke
nach wie vor die Förderung der Landwirtschaft in dem Festhalten an der
bestehenden Wirtschaftspolitik.
22. Januar. (Posen.) Trauermessen am 50jährigen Gedenk-
tage der Polenrevolution.
Als die Polizei eine im Bazarsaale zur Erinnerung an die Revolution
von 1863 veranstaltete große Polenversammlung auflösen wollte, wurden die
Polizeibeamten mit Rufen: „Schlagt die Hunde tot!“ empfangen. Die
Menge demonstrierte nach der Auflösung vor dem Miczkiewicz---Denkmal.
In den katholischen Kirchen der Stadt wie der Provinz wurden überall
die verbotenen polnischen Revolutionslieder gesungen. — In Warschau und
Russisch-Polen war der Geistlichkeit, der Presse und dem Publikum jede
Erwähnung der Revolution streng verboten worden.
22. Januar. (Reichstag.) Resolutionen zum Etat des Reichs-
amts des Innern.
Von den vorjährigen Resolutionen wurden angenommen u. a.
eine fortschrittliche Resolution auf Ausbau des Koalitionsrechtes, ebenso eine
Zentrumsresolution, die dasselbe erstrebt und daneben noch den Ausbau
des Tarifvertragsgedankens fordert. Annahme fanden ferner Resolutionen,
in denen ein Reichseinigungsamt gefordert wird und die Schaffung einer
Zentralstelle zur Ausarbeitung von Tarifverträgen, auch eine Resolution
der Wirtschaftlichen Vereinigung wegen Kodifizierung der Gewerbeordnung,
eine Resolution der Polen auf Vorlegung eines Gesetzentwurfs zur Schaf-
fung eines Reichsarbeitsamts und von Arbeitskammern. Sodann wurden
angenommen Resolutionen auf Erlaß von Schutzbestimmungen für die
Arbeiter der chemischen Industrie, auf Ausbau der Arbeiterschutzbestim-
mungen in den Betrieben der Großeisenindustrie, auf Einführung der Bau-
kontrolle durch besondere Baubeamte, auf Erlaß eines Reichsberggesetzes,
auf Vorlegung eines Gesetzentwurfes betreffend das Koalitionsrecht der
Landarbeiter (gegen die Konservativen und einen Teil des Zentrums), auf
Schaffung eines einheitlichen Privatangestelltenrechts, auf Regelung der
Anstellungs- und Arbeitsverhältnisse der Rechtsanwaltsgehilfen sowie der
in Theater- und Lichtspielbetrieben beschäftigten Personen, auf Einschränkung
des Haustierhandels, ferner eine fortschrittliche Resolution auf Regelung des
Submissionswesens, sowie eine Resolution auf Erlaß eines Kartellgesetzes
sowie auf Erhebungen über die Monopolbestrebungen der Elektrizitäts-
industrie. Ferner wurden angenommen eine Resolution auf Regelung der
Arbeitslosenversicherung durch das Reich, eine nationalliberale Resolution
auf Hebung und Vermehrung des Viehzucht treibenden Klein- und Mittel-
besitzes, und zwar durch innere Kolonisation, Beschränkung der Latifundien