Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Bas Beuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 4.) 399 
Boden stehen, wie ja auch der Kollege van Calker, über die Sache zu 
sprechen. Die haben aber doch eine ganz andere Ansicht. Ich möchte sagen, 
sie haben ein größeres Vertrauen zu der Einsicht, zu dem patriotischen 
Empfinden und der politischen Klugheit der Zaberner Bevölkerung. Kann 
man denn wirklich glauben, daß ein solcher Vorfall, das ungebührliche Ver- 
halten eines jungen Offiziers und die sich daran anknüpfenden Konflikte 
zwischen Militär- und Zivilbehörden diese jahrelange Arbeit sollen haben 
vernichten können? Dazu schätze ich die Zaberner sowie die übrige reichs- 
ländische Bevölkerung viel zu hoch ein, als daß ich glauben kann, daß sie 
sich auf diesen Standpunkt wirklich stellen wird. Der schlimmste Feind aber 
gegen die weitere Entwicklung Elsaß-Lothringens in deutschnationalem Sinne 
ist die nationalistische Partei, ist die nationalistische Partei und deren Presse; 
das ist die Presse, die bei jeder Gelegenheit die Gegensätze schürt; das sind 
die Leute, die sich stets bemühen, die Leidenschaften aufzuregen; die sich 
nicht gescheut haben, in Frankreich selbst Propaganda für ihre eigenen Ideen 
zu machen. Wenn das richtig ist, was die Vertreter von Elsaß-Lothringen 
sagen, daß verhältnismäßig nur wenige Elemente in Elsaß-Lothringen sind, 
die den gegenwärtigen Rechtszustand ändern wollen, dann darf man er- 
warten, daß aus der elsaß-lothringischen Bevölkerung heraus die Reaktion 
gegen diese Partei und ihre Presse entsteht, daß die elsaß-lothringische Be- 
völkerung diesen Pfahl in ihrem Fleische ausscheidet. Dann, m. H., werden. 
wir zu einer Versöhnung der Gegensätze kommen, dann werden Sie in den 
Reichslanden für manche Ihrer Wünsche, denen gegenüber wir uns jetzt 
ablehnend verhalten müssen, auch ein größeres Entgegenkommen bei uns 
finden. Sorgen Sie dafür, daß Sie diese Presse und diese Partei nieder- 
schlagen. Wenn das geschieht, so können die Tage von Zabern noch die 
gute Wirkung haben, zu einem besseren Verhältnis zwischen der altdeutschen 
und elsaß-lothringischen Bevölkerung zu führen und die Reichslande enger 
mit Deutschland zu vereinigen. Diesen Wunsch haben wir alle, daß die 
Reichslande möglichst bald und möglichst innig mit Deutschland verbunden 
werden. Das ist der Wunsch aller Parteien. 
Abg. Dr. Weill (Sd.): Heute hat der Reichskanzler als das Pro- 
gramm, das ihn leitet, die Worte von der „Harmonie zwischen Militär 
und Volk“ formuliert. Er hat uns aber zugleich gezeigt, wie er sich diese 
Harmonie denkt. Diese „Harmonie“ kann nach dem ganzen Auftreten der 
Regierung nichts anderes sein als die Abdankung des Reichskanzlers und 
der Zivilbehörden vor der Militärdiktatur. Und, m. H., dann all die Aus- 
drücke, die Terminologie, deren sich die Herren bedienen: „das Recht der 
Armee, des Königs Rock, die Disziplin, das Ehrgefühl der Armee“. Der 
Kriegsminister sagte sogar von diesem Hause: Kein Stein dieser stolzen 
Mauern würde stehen — —! Ich frage, wo wäre die Armee, wo wäre 
der Kriegsminister, wenn in diesen stolzen Mauern die deutsche Volts- 
vertretung nicht für sie sorgte? Der ganze Ton ist überaus charakteristisch 
für dieses Prätorianertum, für diesen Dünkel von Prätorianeroffizieren, 
die sich als die Führer und als die Meister der Nation betrachten. M. H., 
das ist der Geist der Militärdiktatur, und es ist Zeit, hohe Zeit, daß die 
Bürger sich aufraffen, und daß die Bürger den Bürgerrock und ihre Bürger- 
ehre höher einschätzen als die Uniform! Nun habe ich aber das Gefühl, 
daß der Reichskanzler und der Kriegsminister bis heute noch nicht so ganz 
sühlen, um was es sich eigentlich handelt. Es handelt sich schon längst nicht 
mehr um einen Vorfall in Zabern, einer kleinen Stadt in Elsaß-Lothringen. — 
es handelt sich um viel, viel mehr: es handelt sich darum, daß die großen 
Prinzipien bürgerlicher Freiheit, die unsere Vorfahren erkämpft haben, be- 
droht worden sind von revoltierenden Offizieren.
	        
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