Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

410 Das Denische Reiqh und seine einzelnen Slieder. (Dezember 9.) 
größtem Einfluß sein kann. Nun hat der Abgeordnete Scheidemann das 
Haus angerufen, durch Verweigerung des Etats usw. sollten Sie Ihrem 
Beschlusse Geltung verschaffen. Ich will keine Mutmaßungen darüber aus— 
sprechen, wie sich die Mehrheit des Reichstags in dieser Beziehung ver- 
halten wird, ich werde die Entwicklung in dieser Beziehung ruhig abwarten. 
Aber das möchte ich noch einmal in aller Schärfe betonen: ich werde jedem 
Versuch, die in der Verfassung fixierten Rechte des Kaisers einzuschränken, 
den entschiedensten Widerstand entgegensetzen. (Lebhafter Beifall r. — Zu- 
rusf von den Sd.: Das ist sehr hübsch von Ihnen!) — Jawohl, m. H., 
bilden Sie sich nicht ein, daß Sie mit Ihren Wünschen durchdringen 
werden. Sie werden auf einen ganz unbengsamen Widerstand stoßen. 
(Lachen bei den Sd.) — Jawohl, m. H., und trotz der Millionen Wähler- 
stimmen, von denen der Abgeordnete Scheidemann eben gesprochen hat. — 
M. H., das deutsche Volk in seiner Mehrheit wird nicht wollen, daß die 
Kaiserliche Gewalt unter sozialdemokratischen Zwang gestellt wird. 
Abg. Dr. Spahn: M. H., zu der sveben berührten Frage eine ganz 
kurze Bemerkung. 
Nach der Versfassungsurkunde Artikel 15 steht die Leitung der Ge- 
schäfte dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu ernennen ist. Diese 
Bestimmung zwingt uns, gleichgültig, wer der Reichskanzler ist, auch unserer- 
seits in die Erledigung der Geschäfte, zu denen der Reichstag berufen ist, 
einzutreten. Diese Bestimmung ermöglicht auch nicht, den Gedanken zu 
verfolgen, dem der Abgeordnete Scheidemann Ausdruck gegeben hat, daß 
die Volksvertretung berechtigt sei, den Etat als Ganzes abzulehnen. Wir 
bewilligen keinen Etat und keine Gesetze für den Reichskanzler, für den 
Kriegsminister! Wir bewilligen den Etat, wir bewilligen die Gesetze, wir 
sind überhaupt im Reichstage lätig im Interesse unseres Reiches und unseres 
Volkes. Dieser Tätigkeit können wir uns niemals entziehen. M. H., nun 
lassen Sie mich zum Etat übergehen. Seitdem wir zum letzten Male die 
erste Lesung des Etats vorgenommen haben, hat sich ein großer Wechsel 
in unseren internationalen Verhältnissen vollzogen. Vielleicht ist bei diesem 
Wechsel Deutschland selbst verhältnismäßig am wenigsten berührt worden. 
Im Inlande haben wir die starke Heeresvermehrung, wir haben die be- 
deutende Steigerung unserer Lasten zur Tragung der Kosten unseres Heeres. 
(Unruhe. — Glocke des Präsidenten.) 
Präsident: M. H., ich bitte um etwas Ruhe! 
Abg. Dr. Spahn: Wir haben aber auch infolge der Heeresvermeh- 
rung eine gesicherte und starke Stellung des Deutschen Reichs, die uns den 
Frieden verbürgt. Und daß der Friede bedroht war, das haben uns die 
letzten Verhandlungen, die über den Balkanbundvertrag bekannt geworden 
sind, nochmals gezeigt. M. H., die internationalen Konflikte — das darf 
wohl ruhig zugegeben werden — haben selten in kurzen Perioden so viele 
Veränderungen gebracht wie in den letzten Monaten. Von Algeciras hat 
der Weg über Libyen hinüber zum Balkankriege geführt. Er hat die Ver- 
hältnisse in den Balkanstaaten geändert. Wenn der Reichskanzler den 
Großmächten das Verdienst dafür zuschreibt, daß ein Krieg in Europa 
nicht ausgebrochen ist, so besteht dieses Verdienst wesentlich darin, daß die 
Großmächte sich gegenseitig zur Untätigkeit gezwungen haben; sie ließen 
die Balkanvölker sich zerfleischen, keiner durfte sich einmischen, damit eben 
ein europäischer Krieg vermieden wurde. Der Reichskanzler hat die Er- 
folge, die durch England und unser Verhältnis zu England, unser freund- 
schastliches Verhältnis zu Rußland, unser korrektes Verhältnis zu Frank- 
reich für Oesterreich-Ungarn und für Italien auf dem Balkan erreicht 
worden sind, hervorgehoben als ein Verdienst, bei dem Deutschland sich mit
	        
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