Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Dentsqhe Reiq und seine einjelnen Glieder. (Dezember 10.) 419 
tralen Lage in Europa liegen und uns zwingen, dauernd damit zu rechnen, 
daß wir einmal in die Lage kommen können, unsere Existenz mit dem 
Schwert in der Hand zu verteidigen, und daß wir uns für diese Lage durch 
die Anspannung unserer vollen Volkskraft vorbereiten müssen. 
Wenn ich mich nun zu innerpolitischen Fragen wende, so war es 
ursprünglich nicht unsere Absicht, die Vorfälle, die sich an den Namen 
Zabern knüpfen, bei der Etatsdebatte unsererseits zur Sprache zu bringen. 
In dieser Halle des hohen Haufes erschollen am 3. Dezember Händeklatschen 
und Hochrufe, kurzum Beifallsbezeugungen, die bisher im Reichstag im all- 
gemeinen wohl nicht üblich gewesen sind. Ich darf aber vielleicht meinem 
persönlichen Empfinden Ausdruck dahin geben, daß ich doch Zweifel habe, 
ob das hochlodernde Feuer der Begeisterung, mit dem der Reichstag am 
3. und 4. Dezember dem Drachen der Militärdiktatur zu Leibe gegangen 
ist und ihn endgültig totgeschlagen hat — ob dieses hochlodernde Feuer 
der Begeisterung noch gestern und heute in derselben Kraft die Seele des 
Parlaments zum Kochen gebracht hat. In Zabern ist vor und nach der 
Instruktionsstunde — ich betone die Worte: vor und nach der Instruktions- 
stunde — vom 28. Oktober d. J. fortlaufend, dauernd eine Kette immer 
wiederkehrender Belästigungen und Beschimpfungen der Offiziere, eine fort- 
dauernde Kette von Angriffen auf das Militär, von bubenhaften Schmählich- 
keiten auf der Straße vorgekommen. — Nicht nur nach dem militärischen 
Bericht, sondern nach dem Sachverhalt, wie er allgemein bekannt und von 
keiner Seite mehr ernstlich bestritten wird, und wie er auch von dem Kreis- 
direktor in Zabern ausdrücklich öffentlich zugegeben ist. M. H., gegenüber 
diesen Vorgängen — das müssen wir mit aller Entschiedenheit noch einmal 
betonen — hatte das Militär nicht nur die Berechtigung, sondern die ernste 
Verpflichtung, sich zu wehren, gegen diese Vorgänge einzuschreiten, Be- 
leidigungen der Uniform, Beleidigungen und Belästigungen des Militärs 
nicht zu dulden. Dieser Gesichtspunkt ist nicht in gebührender Weise zum 
Ausdruck gekommen, und deshalb mußte ich ihn hier nochmals aussprechen. 
Eines aber glauben wir doch mit großer Entschiedenheit kritisieren zu müssen, 
und das ist das Verhalten der Zivilverwaltung in Elsaß-Lothringen, und 
zwar das Verhalten, wie es seit dem 4. Dezember, seit dem Reichstags- 
beschluß bekannt geworden ist. M. H., der Staatssekretär Zorn v. Bulach 
hat, wie mir vielleicht entgegengehalten werden wird — und deshalb hebe 
ich es gleich selbst hervor —, früher der konservativen Fraktion angehört. 
Ich kann die Bemerkung nicht unterdrücken, daß wir nach den neuesten 
Ereignissen allerdings zu der Meinung gekommen sind, daß die lange zeit- 
liche und örtliche Entfernung, die zwischen dem Staatssekretär Zorn v. Bulach 
und uns bestanden hat, doch auch zu einer großen Differenz der Anschau- 
ungen geführt hat. Was soll man dazu sagen, wenn der Staatssekretär 
in einer so ernsten Situation, wie sie hier bestand, am 6. Dezember dem 
„Lokal-Anzeiger“ telegraphiert hat — bis jetzt ist es nicht dementiert, und 
ich muß daher annehmen, daß es wahr ist —: Habe jetzt gar keine Ver- 
anlassung mehr, Abschiedsgesuch einzureichen. Zorn v. Bulach. Wir können 
es unter keinen Umständen für richtig halten, daß der Staatssekretär sich 
in dieser Situation durch einen Berichterstatter der „Berliner Morgenpost" 
hat interviewen lassen. Daß es nicht gerade ein Berichterstatter des „Vor- 
wärts“ gewesen ist, wollen wir lobend anerkennen. Aber auch das Interview 
durch die „Berliner Morgenpost“ war unseres Erachtens, wenn es wirklich 
stattgefunden hat, durchaus nicht am Platze. · 
Und nun, m. H., wenn die amtliche „Straßburger Korrespondenz“ 
eine Erklärung kundtut, die ich teilweise verlesen zu dürfen bitte! In dieser 
Erklärung heißt es: Die Verlegung der Garnison wurde verfügt, um die 
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