Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Die õfterreitisq·nugarishe Mosarchie. (Jannar 5.—19.) 447 
5. Januar. (Fürstentum Liechtenstein.) Landtagsaufgaben. 
Der Etat ergibt mit 259 350 Kronen einen kleinen Ueberschuß. Davon 
entfallen auf die an Oesterreich verpachteten Zoll= und Posteinnahmen 
187650 Kronen, auf Steuern 40500 Kronen. Durch Schaffung eigener 
Briefmarken, Prägung von Zweikronenstücken (im Betrage von 100000 Mart) 
werden neue Einnahmen erschlossen. Für Nutzbarmachung der Wasserkraft 
des Lavenabaches und für Einrichtung von Automobilpostfahrten, weil Eisen- 
bahnen fehlen, werden neue Ausgaben nötig. Fürst Johann II. bezieht 
keine Zivilliste. 
8. Januar. (Budapest.) In einem Duell mit Säbeln ver- 
wundet Graf Tisza seinen politischen Gegner Grafen Aladar Szechenyi 
an der Stirn. 
19. Januar. (Wien.) Beschwerden der inspirierten Zeitungen 
über die Balkanpresse. 
Es wird darauf hingewiesen, daß in der bulgarischen Presse den 
Rumänen der Rat gegeben wird, ihre nationalistischen Forderungen gegen 
Oesterreich-Ungarn geltend zu machen, wo in Siebenbürgen und Südungarn 
noch Millionen unbefreiter Rumänen wohnten. Diesem Aufhetzungsversuch 
sekundieren auch rumänische Blätter, denen man Beziehungen zum fran- 
zösischen Gesandten in Bukarest nachsagt. 
19. Jannar. (Budapest.) Der „Pester Lloyd“ über das Ver- 
hältnis des Balkanbundes zu Osterreich-Ungarn: 
„Der größte Fehler, den die Balkanstaaten sich selbst und der Monarchie 
gegenüber begehen, besteht darin, daß sie unter dem Einfluß nicht allzu 
aufrichtiger Freunde sich in wichtigen Augenblicken in einen künstlich ge- 
schaffenen Gegensatz zu Oesterreich- Ungarn drängen ließen. Die durch die 
natürlichen traditionellen Verhältnisse vorgezeichnete Politik der Balkanvölker 
verlangt möglichst enge vertrauensvolle Beziehungen zu Oesterreich-Ungarn. 
Eine unermüdliche Verhetzungsarbeit benutzt die albanische Autonomiefrage, 
den rumänisch-bulgarischen Streit und schließlich die Friedensaktion, um 
bei den Balkanvölkern die Suggestion von der österreichisch-ungarischen Erb- 
feindschaft aufrecht zu erhalten. So wird das von Kriegsbeginn an seitens 
Oesterreich-Ungarns aufgestellte Programm der Freundschaft für die Balkan= 
völker mißverstanden und mißdeutet, insbesondere von Serbien, welches seine 
Errungenschaften auf glattem Wege hätte heimbringen können, wenn es 
von Anfang begriffen hätte, daß es die Sympathien Oesterreich-Ungarns 
mindestens ebenso sehr brauche, wie dieses seine Freundschaft. Langsam 
beginnen sich in der Ententepresse sowie in Serbien Anzeichen besserer Ein- 
sicht bemerkbar zu machen. Die natürliche, durch die Verhältnisse vor- 
geschriebene Politik braucht für Serbien mit keiner Einschränkung seiner 
politischen und wirtschaftlichen Freiheit, sie braucht mit keiner Schädigung 
Dritter verknüpft zu sein. Oesterreich-Ungarn hegt keine Feindseligkeit gegen 
Serbien. Es gab ihm Beweise seiner Freundschaft und verlangte nur als 
unerläßliche Bedingung des ungestörten Nebeneinanderlebens die serbische 
Gegenleistung. Hoffentlich ist der wieder einmal mißglückte Versuch, Oester- 
reich-Ungarn vom Balkan auszuschalten und dort als quantité nEgligeable 
zu behandeln, der letzte dieser Art, denn Oesterreich-Ungarn erwartet, daß 
sich Serbien nach dem Scheitern dieser unnatürlichen Politik gegen Oester- 
reich-Ungarn endgültig auf den Weg einer natürlichen Politik begibt."“
	        
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