Die ãfterreiqisq·mgatishe Menarchie. (Oltober 30. — November 14.) 467
30. Oktober. Das „Neue Wiener Tageblatt“ über die Be—
ziehungen zu Rußland.
Gegenüber den Anregungen, eine Annäherung an Rußland zu versuchen,
betont ein offenbar inspirierter Artikel zwei wesentliche Hindernisse: 1. das
Mißfallen der russischen Autokratie an der Freiheit der slawischen Völker
in Oesterreich, die zu stark mit der russischen Unterdrückung kontrastiere, um
nicht namentlich in polnischen und kleinrussischen Gebieten Gärungen zu
erregen, 2. den Gegensatz zwischen Rußland und Deutschland in den klein-
asiatischen Fragen. Das zukünftige russische Expansionsbestreben in Armenien
werfe seinen Schatten schon voraus und veranlasse Rußland, dem öster-
reichischen Partner Deutschland so viel Schwierigkeiten als möglich zu be-
reiten. Nur ein stärker in Ostasien engagiertes Rußland wünsche gelegent-
lich einen diplomatischen Waffenstillstand mit Oesterreich. Da aber Oester-
reich selbst niemals aggressiv gegen Rußland gewesen sei, hängen die guten
Beziehungen wesentlich von Rußland ab, ohne daß die österreichische Diplo-
matie in der Lage sei, auf diese russischen Dispositionen einzugehen.
5. November. (Delegationen.) Das gemeinsame Budget für
das erste Halbjahr 1914 weist ein Gesamterfordernis von 398839 927
Kronen aus. Außerdem werden von den Delegationen Nachtrags-
kredite von 350 Millionen zur Deckung der Kosten der militärischen
Bereitschaft während der Balkankrise, also insgesamt 748,8 Mil-
lionen Kronen gefordert.
6. November. Der Kaiser hat den König Ferdinand von
Bulgarien in Schönbrunn in Privataudienz empfangen.
8. November. (Wien.) Vor dem Garnisonsgericht beginnt die
Verhandlung gegen den Oberleutnant Zedomil Jandritsch, der des
Verbrechens der Spionage in Kriegszeiten angeklagt ist. (Siehe 10. April.)
8. November. (Budapest.) Spionage.
Der Gerichtshof hat den angeklagten russischen Staatsangehörigen
Nikolaus Bravura wegen Verbrechens gegen die bewaffnete Macht zu drei
Jahren Staatsgefängnis und 1000 Kronen Geldstrafe verurteilt, den An-
geklagten Edmund Veloessy wegen desselben Verbrechens zu vier Jahren
Staatsgefängnis und 1200 Kronen Geldstrafe.
9. November. (Wien.) Prinz Wilhelm von Wied hatte im
Ministerium des Außern mit dem Grafen Berchtold eine mehr als
einstündige Unterredung.
14. November. (Cisleithanien.) Klagen der Polen und
Italiener.
Im Verlauf der Debatte im Abgeordnetenhaus über die Interpella-
tionsbeantwortung betreffend die böhmische Landesverwaltungskommission
verurteilte der Tscheche Stransky aufs schärfste den Verfassungsbruch in
Böhmen. Die Regierung hätte aus der Kundgebung der Verfassungspartei
des Herrenhauses die Konsequenzen ziehen und demissionieren müssen. Der
Vorsitzende rief den Abgeordneten Stransky wegen seiner Ausfälle gegen
die Krone und wegen Beleidigung der Stadt Wien, die der Redner „ver-
trottelt“ genannt hatte, energisch zur Ordnung. Der tschechisch-radikale Choc
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