Die österreichisch-ungerische Monarchie, (November 19.) 471
im großen und ganzen zum angestrebten Ziele; wir führten den wesent-
lichsten Teil unseres Programms durch und wahrten der Monarchie den Frieden.
Zur Sicherung unserer Interessen ist allerdings angesichts der feind-
seligen Haltung unserer südlichen Nachbarn eine ziemlich umfangreiche mili-
tärische Bereitschaft notwendig geworden. Wir mußten uns die Erfahrungen
aus der Annexionszeit vor Augen halten, wo Serbien allein, ohne Rücken-
deckung durch eine Großmacht, gegen uns kriegerische Vorbereitungen machte.
Nun standen auf dem Kriegsfuß befindliche siegreiche Armeen solcher Staaten
an unseren Grenzen, welche in dem Glauben befangen waren, auf volle
politische und militärische Deckung einer mächtigen europäischen Staaten-
gruppe rechnen zu können; aber auch an unserer Nordostgrenze mußten
wir uns zu militärischen Vorkehrungen entschließen. Diese durch die Zurück-
behaltung eines Reservejahrganges in Rußland veranlaßten Maßnahmen
hatten die Unzulänglichkeit unseres Grenzschutzes zur Ursache, waren aber
keineswegs in der Gestaltung unserer vollkommen korrekten freundschaftlichen
Beziehungen zum russischen Reiche begründet. Eine durch die hochherzige
Initiative der beiden Monarchen veranlaßte gegenständliche Aussprache ver-
mochte auch die Auflassung dieser Vorkehrungen in einem relativ frühen
Stadium der langwierigen Rrise herbeizuführen.
Die Verhandlungen bezüglich der Delimitierung Nordalbaniens wurden
durch das auf der Botschafterreunion vom 29. März abgeschlossene Kom-
promiß zum Abschlusse gebracht, wo unser Verzicht auf die Einbeziehung
Diakovas durch die Feststellung kompensiert wurde, daß Skutari auch im
Falle der Einnahme seitens Montenegros zu Albanien zu gehören habe, daß
den katholischen und albanesischen Minoritäten in den außerhalb des neuen
Staatswesens verbleibenden Gebieten die religiöse und nationale Freiheit
gewahrt bleibe und das albanesische Gebiet von fremden Truppen zu räumen
sei. Die Hartnäckigkeit, mit der Montenegro, unterstützt von serbischen
Truppen, diesen Bestimmungen zum Trote die Belagerung Skutaris fort-
setzte, führte zur Verhängung der internationalen Küstenblockade, welche
zwar die Einnahme Skutaris nicht verhinderte, immerhin aber die Berech-
tigung unserer Forderungen durch das geschlossene Eintreten der europäischen
Großmächte für dieselben in Erscheinung brachte. Es bedurfte zu unserm
Bedauern der ernsten Maßnahmen, zu denen wir uns bei dem Versagen
aller anderen Mittel in den letzten April= und den ersten Maitagen ent-
schließen mußten, um die bedingungslose Räumung Skutaris sicherzustellen.
In dem Widerstreite zwischen Rumänien und Bulgarien bemühten
wir uns gleich einzelnen anderen RKabinetten, die fraglichen Ansprüche in
Sofia zu vertreten, nahmen aber angesichts des passiven Verhaltens des
Kabinetts Geschow an der Mediation sämtlicher Mächte teil, die erst von
Rumänien, dann von Bulgarien akzeptiert und auf der in Petersburg ab-
gehaltenen Konferenz Anfang Mai zum Ausdruck gebracht wurde, wodurch
Rumänien in den Besitz Silistrias gelangte. — Als nach dem am 30. Mai
erfolgten Friedensschlusse zwischen der Türkei und den vier Alliierten die
inneren Gegensätze zwischen den Verbündeten zum zweiten Balkankriege
führten, fand Rumänien Gelegenheit, seinen trotz unserer Unterstützung auf
der Petersburger Konferenz nur ungenügend realisierten Aspirationen volle
Geltung zu verschaffen. Daß übrigens die Ergebnisse dieses Krieges in
manchen Stücken KReime zur Beunruhigung mit sich brachten, ist bekannt.
Den Bemühungen Oesterreich-Ungarns und Rußlands, welche von der ru-
mänischen Diplomatie unterstützt wurden, ist es zwar gelungen, einige Härten
zu mildern, auch überstand Bulgarien die Schicksalsschläge, welche es trotz#
der Leistungen seiner tapferen Armee erlitt, ohne innere Erschütterungen in
erfreulicher Weise. Immerhin ist mit der Neueinteilung des Balkans die