Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Pie ssterreichisch-ungarische Monarchie. (Dezember 2.—13.) 477 
gerichtet war, den Versuch zu machen, durch Einwirkung auf die Pforte 
diese zur Einführung solcher radikalen Reformen zu bewegen, die geeignet 
sein konnten, der geplanten Aktion der Balkanstaaten den Boden zu ent- 
ziehen. Damals hat aber die ablehnende Haltung der Pforte unsere Be- 
mühungen illusorisch gemacht und die von ihr eingeleitete unzeitgemäße 
Mobilisierung den Ausbruch des Konfliktes gefördert oder herbeigeführt; 
andererseits habe ich bereits in der vorvorigen Delegationssession Anlaß 
genommen, auf die drohenden Gefahren aufmerksam zu machen, was da- 
mals als Schwarzseherei bezeichnet wurde. Es ist ausgeführt worden, 
daß vielleicht zu Beginn der Balkankrise die Möglichkeit geboten gewesen 
wäre, durch Aussprache mit den Balkanstaaten in betreff Albaniens das- 
jenige zu sichern, was wir später beantragt haben. Ich bitte aber zu be- 
denken, daß Albanien damals türkisches Territorium war, und daß wir, 
um schon damals dessen Neutralität gegenüber den Balkanstaaten durch- 
zusetzen, mit Rücksicht auf die noch dort befindlichen türkischen Truppen 
zu einer effektiven Besetzung hätten schreiten müssen, welche einen Teil un- 
serer Armee im Moment großer internationaler Spannung gebunden hätte, 
was wir daher nicht in Erwägung ziehen wollten. Wären aber die Balkan- 
staaten auf unsere Forderungen nicht eingegangen, so würden wir natürlich 
gezwungen gewesen sein, gegen unseren Willen in diesem Kampf Partei 
zu ergreifen und dadurch unserer künftigen Politik den Balkanstaaten gegen- 
über zu präjudizieren. Es wurde heute schon vielfach von den Enthüllungen 
des „Matin“ über den Geheimbund gesprochen, der damals geschlossen wurde. 
Wenn diese Informationen richtig sind — und sie stimmen mit manchen 
Informationen überein, die wir damals bereits gehabt haben — so würden 
sie einen weiteren Beweis dafür bilden, daß die Balkanstaaten gewisse Hoff- 
nungen auf eine Großmacht setzten und die Eventualität einer Komplikation 
nahelag. Wie dem auch sei, jedenfalls kann man einen Zusammenstoß der 
Monarchie mit den geeinigten Balkanvölkern keineswegs als ein erstrebens- 
wertes und der Rolle der Monarchie auf dem Balkan konformes Ziel be- 
zeichnen. Es ist dies eine Situation, die gegebenenfalls akzeptiert werden 
müßte, zu deren Herbeiführung wir aber nicht die Hand bieten dürfen und 
nicht die Hand bieten wollen.“ 
2. Dezember. (Wien.) Der Lustspieldichter Franz von Schön- 
than im Alter von 64 Jahren. 
12. Dezember. (Wien.) Der ehemalige Sektionschef im Eisen- 
bahnministerium, Dr. Anton Millemoth, der hervorragenden Anteil 
an der Erbauung der Tauern= und Karawankenbahn hatte, f im 
74. Lebensjahre. 
12. Dezember. (Wien.) Der deutsche Schulverein und der deutsch- 
österreichische Lehrerbund erlassen einen Aufruf, Peter Rosegger für 
den Entgang des Literaturpreises der Nobelstiftung durch eine deutsche 
Volksehrengabe zu entschädigen. 
13. Dezember. Diskussion über die Spannung mit Serbien. 
In der ungarischen Delegation gab (nach der Beantwortung der 
Interpellation Apponyi über die Orientbahn durch den Sektionschef im 
Ministerium des Innern Graf Wickenburg) Graf Stefan Tisza die Er- 
klärung ab, daß die ungarische Regierung dieser wichtigen Angelegenheit 
die pflichtgemäße Aufmerksamkeit zuwende. Es müsse auf das Land einen
	        
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