Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

502 Großbritamien. (März 26.) 
werden, um dort die von ihnen gefaßten Beschlüsse amtlich mitzuteilen. 
Die Vorschläge die den Kriegführenden vor wenigen Tagen gemacht wurden, 
sind der Oeffentlichkeit bekannt: in Thrazien die Grenzlinie Enos-Midra, 
die den Bulgaren Adrianopel, den Türken das ganze Marmarameer und 
die Dardanellen läßt; über das Schicksal der ägäischen Inseln sollen die 
Mächte entscheiden, daß Kreta griechisch wird, versteht sich dabei von selbst. 
Am diffizilsten mag sich die Abwägung der beiderseitigen finanziellen An- 
sprüche gestalten. Sir Edward betont, daß die Türkei keine großen Lasten 
mehr übernehmen kann, wenn sie die ihr verbleibenden asiatischen Be- 
sitzungen gesund verwalten und wirtschaftlich entwickeln soll; daß sie das 
aber tue, liegt auch im Interesse der Mächte. 
26. März. (Unterhaus.) Flottenrivalität mit Deutschland. 
Bei der Einbringung des Flottenetats hielt der Erste Lord der Ad- 
miralität Churchill eine Rede: Die Ursache der Steigerung der Flotten- 
ausgaben liegt nicht in der Anzahl der im letzten Jahre begonnenen und 
für dieses Jahr geplanten neuen Schiffe verschiedener Klassen. Die Stei- 
gerung der früheren, des jetzigen und der künftigen Etats rührt vielmehr 
her aus fünf Hauptgründen: Erstens aus dem politischen Entschluß, die 
Zahl der kriegsfertigen in Dienst gehaltenen Schiffe infolge des neuen 
deutschen Flottengesetzes zu erhöhen, und aus dem Entschluß, die Zahl der 
Schiffe und des besoldeten Personals zu erhöhen; zweitens: aus der 
Steigerung der Schnelligkeit, Armierung und Ausrüstung und der Her- 
stellungskosten von Kriegsschiffen aller Art; drittens aus der Einführung 
und Ausgestaltung dienstlicher Neuerungen, hauptsächlich in der Verwen- 
dung von Rohöl als Heizmaterial, aus der Heranziehung der Luftschiffahrt 
und der drahtlosen Telegraphie; viertens: aus dem allgemeinen Anwachsen 
der Preise und Löhne, besonders der Kosten für Kohle, Oel, Stahl und 
alle Materialien, die beim Schiffsbau gebraucht werden; fünftens: aus dem 
Zurückbleiben des Schiffsbaues während der letzten zwei Jahre, das sich 
ergab aus dem Unvermögen der Lieferanten, ihre Termine einzuhalten, 
und das sich in den Verzögerungen bei der Ausführung des laufenden 
Flottenprogramms zeigte. Das Budget würde noch viel höher sein, wenn 
nicht eine Ueberlastung der Schiffswerften bestände, die sich aus den außer- 
ordentlichen Anforderungen an die technischen Anlagen, besonders hinsicht- 
lich des Ersatzes qualifizierter Arbeiter ergibt. Es ist keine Aussicht vor- 
handen, die gewaltigen dauernden und wachsenden Kosten in den Flotten- 
etats der künftigen Jahre zu vermeiden, wenn nicht die Periode der Rivalität 
und des technischen Fortschritts zu einem Ende kommt. Von allen Nationen 
der Welt sind wir vielleicht am besten imstande, eine derartige Ausdehnung 
zu tragen, falls sie fortgesetzt werden sollte. Aber es gibt glücklicherweise 
einen Weg, der offen steht und offen bleiben wird, durch den die Völker 
ein Ende der Sklaverei erreichen können, in die sie sich selbst begeben haben. 
In der Sphäre des Flottenwettbewerbs ist alles relativ. Die Stärke einer 
Flotte ist ihre Stärke verglichen mit einer anderen. Der Wert eines Schiffes 
hängt gänzlich von den zeitgenössischen Schiffen ab, denen es vielleicht ent- 
gegentreten muß. Zedoch sehen wir, daß die Schiffstypen einer jeden See- 
macht die der früheren Jahre in unerdittlicher Hartnäckigkeit verdrängen, 
daß viele Millionen von Jahr zu Jahr trotzdem vergendet werden und 
daß das Entwicklungstempo dauernd nichts verändert, ohne einen wirklichen 
Gewinn in der relativen Flottenstärke. Kann ein Vorgang sinnloser sein? 
Die Frage, die sich die Großmächte und nicht nur die Großmächte, sondern 
die großen Nationen vorlegen sollten, ist diese: Wenn für den Zeitraum 
eines Jahres kein neues Schiff für irgendeine Flotte gebaut worden wäre,
	        
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