Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Dentsqe Reith und seine einzelnen Glieder. iFebruar 1.5 39 
Schwachsinnige usw., 159 in Anstalten für Heilung körperlich Kranker sowie 
in Blinden= und Taubstummenanstalten, 73 im Gefängnis usw. Auf die 
Erovinzialausbildungsschiffe in Emden kamen 16. Entwichen sind im Be- 
no:ejahre aus den Anstalten 466 (10, v. H.) männliche und 66 (2,8 v. H.) 
weibliche Zöglinge, aus Familien 63 (7,1 v. H.) männliche und 41 (1, v. H.) 
weibliche Zöglinge. Davon kehrten wieder zurück 389 männliche und 62 
weibliche Zöglinge. Es schieden aus der Fürsorgeerziehung aus 5520. 
davon sind entlassen als gebessert 3695 = 66,/7 v. H., mit zweifelhaftem 
Erfolge 1174 211 v. H., als ungebessert 651 = 11,8 v. H. 
1. Februar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Berliner 
Fragen. 
Abg. Cassel (Vp.): Warum sträubt sich das Ministerium des Innern 
immer noch gegen eine allgemeine Uebertragung der Wohlfahrtspolizei an 
die Gemeinde? Früher sind die Konservativen selbst dafür eingetreten. 
Bei uns in Berlin ist die Frage jetzt akut geworden. Berlin hat beim 
Ministerium beantragt, dem Magistrat die Wohnungspolizei zu über- 
tragen. Auf diese Anfrage vom Juli vorigen Jahres hat der Oberbürgermeister 
bis heute noch keine Antwort. Unser früherer Oberbürgermeister Kirschner 
war ja das lange Warten gewöhnt (Heiterkeitf, aber Herr Wermuth ist das 
noch nicht gewöhnt und hat sich mit Recht darüber unwillig geäußert. 
Es ist doch nichts natürlicher, als daß man eine so wichtige Materie wie 
das Wohnungswesen den Kommunen überläßt. Auch in der Frage der Ein- 
gemeindung Treptows in Berlin werden uns Schwierigkeiten gemacht. 
Die Frage der allgemeinen Eingemeindung der Berliner Vororte scheide 
ich völlig aus. Aber vom Treptower Weichbild gehört schon der größere Teil 
Berlin, und sind die beiden beteiligten Gemeinden einig, so liegen doch 
vom Standpunkt der Selbstverwaltung keinerlei Bedenken vor. Wäre Berlin 
durch zwölf Konservative oder gar Zentrumsleute vertreten, so würde man 
Is nicht so abspeisen. Dabei hat es doch die Berliner Bevölkerung an 
Opferwilligkeit und Vaterlandsliebe nie fehlen lassen. (Beifall I.) Nun 
zu Herrn von Kardorff. Wir sind keine Freunde der Agitation, wie sie 
die VLolen im Parlament entfalten; wir mißbilligen sie namentlich in der 
letigen Zeit. Unwahr ist besonders die Behauptung des Abg. Korfanty, 
der Freisinn habe seine Haltung in der Enteignungsfrage geändert. 
Wir bleiben dabei, daß die Enteignungspolitik ihre Ziele gar nicht erreichen 
kann. Auch weitere konservative Kreise im Lande und namentlich im 
Östen sind Gegner der Enteignung. Angesichts der Kompetenzfrage mußten 
sich aber im Reichstag meine Freunde beim polnischen Mißtrauensvotum 
der Abstimmung enthalten. Von der Sozialdemokratie trennt uns eine 
tiese Kluft. Wir erkennen an, daß die Sozialdemokratie die Klassen verhetzt und 
das Arbeitsverhältnis vergiftet. Ich erkenne auch an, daß sie die Freiheit 
der Arbeit vielfach beeinträchtigt. Den politischen Bonkott muß ich aufs 
schärfste mißbilligen, wo er auch hervortritt. Aber so offen ich das alles 
ausspreche, so bestimmt füge ich hinzu: Die Wege des Herrn v. Kardorff 
bringen uns nicht weiter. Unter dem Sozialistengesetz ist die Sozial- 
demokratie ständig gestiegen. Eine geistige Bewegung ist durch Zwangs- 
maßregeln nicht zu überwinden. Die Haltung des Staatssekretärs Delbrück 
zum Streikpostenstehen ist durchaus richtig. Herr v. Kardorff übersieht, daß 
die hohen Reichsbeamten nicht die Kommis der preußischen Minister sind, 
und daß das Reich keine preußische Filiale ist. Vergessen Sie (nach rechts) 
doch nicht, daß das Reich und der Reichstag am gleichen Tage geboren sind. 
Angriffe auf den Reichstag schmälern auch das Ansehen des Reiches. Abg. 
v. Nardorff bedauert das Mißtrauensvotum als eine Respektlosigkeit gegen
	        
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