Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Ftankrei. (Juni 13. 16.) 549 
rechtfertigen. Die Gegenvorschläge lieferten nicht genügende Streitkräfte. 
Nur die von der Regierung gemäß den Beschlüssen des Obersten Kriegs- 
rats geforderten Streitkräfte könnten allen Eventualitäten begegnen, selbst 
wenn Deutschland seine Friedenspräsenzstärke dadurch vermehrte, daß es 
ebenfalls die dreijährige Dienstpflicht einführte. Das Gesetz von 1913 
werde es ermöglichen, die notwendige militärische Organisation neu zu 
gestalten. Wir wollen lieber die verlangten Opfer tragen, als der Ver- 
nichtung anheimfallen, die von der Verwirklichung des alldeutschen Traumes 
ausgeht. Die Anhänger des Friedens um jeden Preis täuschen sich. Eine 
neue Katastrophe würde den Sturz des Regimes nach sich ziehen, welches 
das nationale Interesse nicht gewahrt hat, das allen anderen vorgeht. 
Joly stimmte den Rednern zu, die gegen den geringen Nutzen, den man 
aus dem Gesetz von 1905 gezogen habe, protestiert hatten. Er kritisierte 
namentlich die Snlenoritüe der Luftflotte. — Kriegsminister Etienne erklärte, 
daß zwölf Luftkreuzer in Auftrag gegeben worden seien. Joly fuhr dann 
fort und sagte, Frankreich sei in Europa nicht isoliert, aber es sei unerläß- 
lich, daß es so handle, als ob es isoliert sei. Rußland müsse mit Frank- 
reich die Anstrengung teilen, die durch die Vermehrung der deutschen Streit- 
kräfte gefordert werde. Frankreich müsse von Rußland verlangen, daß es 
die im Jahre 1910 von der Grenze zurückgezogenen Armeekorps wieder 
dorthin bringe. Rußland könne nicht nur eine Verteidigungsstellung ein- 
nehmen. Wenn die Deutschen einen Teil ihrer Heeresverstärkungen gegen 
Rußland richteten, so sei der Grund mindestens der, daß sie einen plötzlichen 
Angriff befürchteten. Die Kammer beschloß darauf, in der nächsten Woche 
weitere Sitzungen zur Beratung des Gesetzes über die dreijährige Dienst- 
zeit abzuhalten. 
13. Juni. (Kammer.) Annahme des Gesetzentwurfs, nach 
dem die im zweiten Jahrgang die Militärschule besuchenden Schüler 
schon mit dem 10. Juli 1913, die Schüler des jetzigen ersten Jahr- 
gangs schon mit dem 1. Januar 1914 nach Ablegung des Schluß- 
examens zu Unterleutnants ernannt werden können, um dem Mangel 
an Leutnants und Unterleutnants, der augenblicklich 1400 beträgt, 
abzuhelfen. 
16. Juni. (Kammer.) Die dreijährige Dienstzeit. 
Der Ministerpräsident Barthou versicherte von neuem, der Oberste 
Kriegsrat habe alle vorgeschlagenen Lösungen, die den deutschen Rüstungen 
begegnen wollten, geprüft, alle Einwendungen erwogen und sich einmütig 
und frei für die dreijährige Dienstzeit ausgesprochen. Das Gerücht, daß 
der Gesetzentwurf über die dreijährige Dienstzeit infolge eines im letzten 
Sommer zwischen dem Kaiser von Rußland und dem Präsidenten der Republik 
abgeschlossenen Uebereinkommens eingebracht worden und Frankreich sich 
seiner Freiheit begeben habe, sei unbegründet. Ferner erklärte der Minister- 
präsident, die von Frankreich geforderte Anstrengung ist keine Herausforde- 
rung, sondern eine Erwiderung. Barthou fügte noch hinzu, daß das ver- 
bündete Rußland gleichfalls die nötigen Anstrengungen mache, damit die 
französische und die russische Armee bereit seien, allen Eventualitäten zu 
begegnen. (Langanhaltende Bewegung auf allen Bänken und Beifall.) 
Der Kriegsminister Etienne: Ein Kriegsminister, der, nachdem er 
erfahren, daß die deutsche Armee von 700000 auf 880 000 Mann gebracht 
werde, nicht sofort Gegenmaßnahmen gefordert hätte, würde gegen seine 
Rflicht verstoßen haben. Von allen Lösungen ist die dreijährige Dienstzeit
	        
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