Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

554 Frankreich. (Juli 28.—30.) 
Krisis sind Frankreich, England und Rußland nicht einen Augenblick un- 
einig geworden und werden auch in Zukunft nicht uneinig werden. Um 
nur von militärischen Dingen zu reden, so beweisen Frankreich und Ruß- 
land, daß sie im Falle einer Koalition aufeinander zählen können. Aber 
Frankreich will sich, wie die anderen Mächte, seine eigene Sicherheit nur 
selbst zu danken haben und in der Lage sein, seine Unversehrtheit durch 
eigene Kraft zu sichern. Das ist die Bedingung für die Wirksamkeit des 
Bündnisses. Frankreich und Rußland stehen die drei verbündeten Nationen 
Mitteleuropas gegenüber. Zwei derselben sind unsere Nachbarn. Aber nur 
einer, Deutschland, hat eine bedauerliche beunruhigende Politik, die für uns 
zu gewissen Stunden einer allerjüngsten Vergangenheit aggressiv war. 
Deutschland, einst ein unbarmherziger Gegner, ist auch der bei weitem 
mächtigste. Wir haben also allen Grund, unsere Armee auf dem Niveau 
der deutschen zu erhalten. Wenn wir mit ihr kämpfen müßten, dann dürfte 
dies nur mit gleichen Waffen geschehen. Uebrigens ist eine mächtige Armee 
eine Friedensassekuranz. Selbst kriegerischen Völkern dient eine Armee sehr 
selten im Kriege; aber sie dient dauerd dazu, Achtung einzuflößen. Frank- 
reich muß stark sein unter den starken Nationen, weil es immer in erster 
Reihe stand und in erster Reihe bleiben muß. Das französische Volk will 
in Zukunft ruhmreich bleiben, wie es in der Vergangenheit ruhmreich war. 
Der Instinkt seiner Größe ist der Gedanke an seine Selbsterhaltung. Es 
will, daß es ein großes Volk sei oder untergehe. 
W. Juli. (Senat.) Beratung über das aus der Kammer 
zurückgekommene Budget. 
Ribot erklärte, die finanzielle Lage würde sich schwierig gestalten 
auch ohne die militärischen Lasten, die sich aus der Notwendigkeit ergäben, 
den Anstrengungen Deutschlands zu begegnen. Deutschland denke zwar nicht 
an einen Angriff, aber es denke vielleicht, daß seine Lage infolge der letzten 
Ereignisse weniger gut gesichert sei. Ferner erklärte er, alle müßten die 
Lasten des Militärgesetzes auf sich nehmen, ohne daß ein Unterschied unter 
den Steuerpflichtigen gemacht werde. Das Land werde in männlicher Weise 
die Opfer auf sich nehmen, die man von ihm fordere. Ministerpräsident 
Barthou versprach, daß das Budget für 1914 klar und aufrichtig sein 
werde. Die Ereignisse verstimmen uns auch jetzt noch, die Regierung ist 
aber zu jeder erforderlichen Initiative bereit, um den Frieden der Welt zu 
sichern. In Erwiderung auf die durch Ribot ausgesprochene Befürchtung 
erklärte der Ministerpräsident, man dürfe nicht sagen, daß bestimmte Aus- 
gaben durch bestimmte Steuerzahler gedeckt werden müßten. Wenn aber 
bestimmte Ausgaben das Defizit vermehren würden, würden die dadurch 
erforderlich werdenden Steuern auf denjenigen lasten, die imstande seien, 
sie zu tragen. 
29. Juli. (Senat.) Annahme des Gesamtbudgets. 
Gleichfalls angenommen wurde mit 223 gegen 68 Stimmen ein 
Resolutionsentwurf, der den Entschluß bekräftigt, in der nächsten Session 
einen Gesetzentwurf zu beraten, der eine allgemeine progressive Einkommen- 
steuer einführt. 
30. Juli. (Kammer.) Die Verteilung der französischen 
Flottenstreitmacht. 
Marineminister Baudin erklärte: Bei der Ausdehnung seiner Küsten 
hat Frankreich ein Interesse daran, alle seine Kräfte im Mittelmeer zu 
konzentrieren. Diese Konzentration der aktiven Seestreitkräfte ist zurück-
	        
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