Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Italien. (September 29.) 585 
hindern. Das Unternehmen muß daher weiter betrieben werden, bis die 
italienische Autorität sich wirksam in der ganzen Kolonie durchsetzt. Um 
dies zu erreichen, beabsichtigt die Regierung soweit es möglich friedliche 
Mittel anzuwenden. Wenn es jedoch notwendig sein wird, wird die Re- 
gierung nicht zögern, Gewalt anzuwenden, wie sie es jüngst namentlich i in 
der Cyrenaica tun mußte. Auf jeden Fall beabsichtigt die Regierung, in 
Libyen die vollständige Pazifizierung zu erzielen durch strenge Achtung der 
Religion, des Familienlebens, der Sitten und Gebräuche dieser Völker und 
ihnen die großen Wohltaten der Zivilisation angedeihen zu lassen ebenso 
wie die Vorteile einer durchaus unparteiischen und gerechten Regierung. 
Das Unternehmen hat den Fortschritt des Landes weder zum 
Stillstand gebracht noch auch verlangsamt. Die Staatseinnahmen in 
den Budgets von 1911/12 und 1912/13 weisen eine wesentliche Erhöhung 
auf, die Eisenbahneinnahmen stiegen um 61 Millionen, die Metallreserven 
der Emissionsinstitute vom 30. Juni 1911 bis zum 30. Juni 1913 um 
167 Millionen. Die Einlagen in der Postsparkasse stiegen um 99 Millionen 
im Jahre 1911, um 75 Millionen im Jahre 1912 und um 45 Millionen 
im ersten Halbjahre 1913. In den Sparkassen stiegen die Einlagen von 
1910 bis 1912 um 128 Millionen, die Steinkohleneinfuhr nahm von 
1910 bis 1912 um 718000 Tonnen zu trotz der beträchtlichen Zunahme 
der Wasserkraftanlagen. In denselben Jahren stieg die Einfuhr um 
56 Millionen, die Ausfuhr um 314 Millionen, und im ersten Halbjahr 
1913 überschritten Einfuhr und Ausfuhr um viele Millionen die Vorjahrs- 
ziffern. Die Zunahme der Bevölkerung hat angehalten und in den 
zwei Jahren 848000 betragen. Die libysche Expedition hat also keines- 
wegs den Fortschritt des Landes aufgehalten, im Gegenteil wird Italien 
eine starke Stütze finden in dem vollkommenen Vertrauen, das es zu seinen 
Kräften erworben hat, und in dem gelieferten Beweis, daß gegenüber 
irgendwelcher äußeren Gefahr die Nation einmütig zu allen, für die Wah- 
rung seiner Ehre und seiner legitimen Interessen nötigen Opfer bereit ist. 
Die innere Politik Italiens ist seit vielen Jahren ausgesprochen 
liberal und enthält sich auch jeder Einmischung in religiöse Fragen, weist 
aber auch jeden Eingriff der Kirche in die Rechte des Staates zurück. Die 
Lage der arbeitenden Klassen hat sich verbessert und der soziale Frieden 
gefestigt. Die neue Legislaturperiode wird sich mit dem Arbeitsvertrage, 
mit der Unfallversicherung, der Altersversorgung und einer Anzahl weiterer 
sozialer, hygienischer und Unterrichtsfragen zu beschäftigen haben. Die 
Staatsgelder müssen bei der Ausführung öffentlicher Arbeiten besser ge- 
schützt werden. Die neue Legislaturperiode wird sich bei der Erneuerung 
be, Handelsverträge einem gewichtigen Problem gegenübergestellt sehen. 
Mit den Vertretern der hauptsächlichsten Interessen des Landes haben bereits 
Vorbesprechungen deswegen stattgefunden. 
Die internationalen Beziehungen Italiens sind gegenwärtig wahr- 
haft glänzend. Die Erneuerung des Dreibundes sichert Europa eine 
neue Periode dieses Gleichgewichts der Kräfte, das seit vielen Jahren 
die sicherste Garantie des Friedens unter den Großmächten ist. Und 
wie sich in der ganzen Welt die Ueberzeugung durchgesetzt hat, daß dieses 
Bündnis die Erhaltung des Friedens zum Zweck hat, so hindert es Italien 
nicht und wird auch in Zukunft nicht hindern, die herzlichsten Beziehungen 
mit anderen Mächten aufrechtzuerhalten, von denen einige Italien während 
des libyschen Krieges die aufrichtigsten Beweise von Freundschaft gaben. 
Die Haltung Italiens während des Balkankrieges wurde in voller 
Uebereinstimmung mit den andern Mächten beständig durch den Wunsch 
geleitet, das Ende dieses schmerzlichen Kampfes zu beschleunigen, und die
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.