Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

50 Das Veufsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 5.) 
also um eine grobe Mystifikation handelte.’ Die Stadt hatte bereits Flaggen- 
schmuck angelegt und eine ungeheure Menschenmenge war nach dem Polygon 
geströmt. Das chiffrierte Telegramm war von einem ehemaligen Zahlmeister- 
aspiranten namens Wolter, der sich als Telegraphenbote verkleidet hatte, im 
Generalkommando abgegeben worden. 
5. Februar. (Königsberg i. Pr.) Rede des Kaisers im Pro- 
vinziallandtag. 
Die Rede, mit der der Kaiser den Landtag der Provinz Ostpreußen 
eröffnete, hat folgenden Wortlaut: Meine Herren!##Es ist Mir eine besondere 
Freude, Ihrem Wunsche zu entsprechen und den Landtag Meiner getreuen 
Provinz Ostpreußen hiermit in Person zu eröffnen. Bevor Sie Ihre geschäft- 
lichen Arbeiten und Beratungen für das Wohl der Provinz beginnen, lassen 
Sie uns der Tat gedenken, welche von der heute vor hundert Jahren hier in 
Königsberg zusammengetretenen Versammlung der ständischen Deputierten der 
Provinz ausging und den ersten Schritt zur Wiederaufrichtung und 
Befreiung des darniederliegenden Vaterlandes bildete. Schwer ist 
es, das volle Maß des Unglücks und der Wirrnisse jener Zeit uns vor 
Augen zu führen. Durch den unglücklichen Krieg wertvoller Gebietsteile be- 
raubt und in seiner Bevölkerung dezimiert, war das Land mitsamt der 
Mehrzahl seiner Festungen noch immer in der Gewalt des Siegers und 
durch die ungeheuren Kriegslasten fast erschöpft. Feindliche Truppenmassen 
durchfluteten die heimatlichen Gefilde. Handel und Wandel waren gestört. 
Vernichtet war der Wohlstand der Bevölkerung, nur teilweise waren nach 
großer Mißernte die Aecker bestellt. Der König, in seinem Tun und Lassen 
überwacht und nicht einmal persönlich in Sicherheit, war gezwungen — um 
Krone und Land nicht sicherem Untergange zu weihen — fast die Hälfte 
des durch den Machtspruch des Fremdherrn ihm belassenen kleinen Heeres 
diesem für den neuen Eroberungszug nach dem Osten als Hilfskorps zu 
stellen. Da setzte die göttliche Vorsehung dem Siegeslauf des kühnen Korsen 
ein jähes Ziel. Die schwer auf Europa lastende Heimsuchung schien ihrem 
Ende entgegen zugehen. Zetzt oder nie konnte das Sehnen jedes Preußen- 
herzens in Erfüllung gehen, konnten die Fesseln der langjährigen Knecht- 
schaft abgeworfen werden — so dachte York, als er sich unter dem gewaltigen 
Zwange der Verhältnisse zu dem Entschlusse durchrang, das ihm anvertraute 
Korps von dem Schicksal des Restes der Großen Armee zu trennen und 
wieder unter den Oberbefehl des Königs zu stellen. So dachten auch jene 
wackeren Männer, die als Vertreter des Adels, der Städte und der Bauern- 
schaft Ihrer Provinz hier zusammentraten. Sie waren die ersten im Lande, 
die dem Gedanken die Tat folgen ließen, indem sie einmütig beschlossen, 
auf eigene Kosten eine Bewaffnung des Volkes vorzunehmen und dem ge- 
liebten Könige zur Verstärkung seiner aktiven Truppe eine Landwehr dar- 
zubringen. Das glänzende Beispiel entfachte die Begeisterung des Volkes 
zu heller Flamme. Der nach Scharnhorstischen Grundideen von dem Grafen 
Alexander zu Dohna entworfene Plan für die Bildung der Landwehr wurde 
für die ganze Monarchie mustergültig. Und als bald darauf der König 
den langersehnten Augenblick für den wohlvorbereiteten Schritt zur Rettung 
des Vaterlandes für gekommen hielt und sein Volk zum Kampfe für Ehre 
und Freiheit aufrief, da scharte sich um ihn alt und jung, hoch und niedrig 
mit zielbewußter Entschlossenheit, das Letzte an Gut und Blut freudig auf 
dem Altar des Vaterlandes zu opfern. Mit Stolz. Bewunderung und Dank 
gedenken wir heute und immerdar der Helden jener Zeit, besonders auch 
der charakterfesten, treuen ostpreußischen Männer, deren Namen mit ehernem 
Griffel in die Ruhmestafeln der vaterländischen Geschichte eingegraben
	        
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