Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

654 Hulsarien. (November 16.) 
die Ursachen der Katastrophe Bulgariens besprach und dabei alle 
Schuld auf das Hauptquartier zu wälzen suchte. Er habe im Ver- 
trauen auf Rußland an einer friedlichen Politik bis ans Ende fest- 
halten wollen. Das Hauptaquartier habe jedoch ohne sein Wissen 
die Angriffe gegen Serben und Griechen eröffnet. 
16. November. (Sofia.) Das Programm der Regierung. 
In einer großen öffentlichen Versammlung verlas der Minister- 
präsident Radoslawow eine Erklärung der Regierung. Die Regierungs- 
erklärung erinnert zunächst an den Ernst des Augenblicks, in dem das 
Kabinett gebildet wurde, und an die durch die kriegerischen Ereignisse und 
die Friedensschlüsse in Bukarest und Konstantinopel dem Lande auferlegten 
Opfer. Es heißt darin weiter: Die Regierung hat den Frieden von Bukarest 
unter den Vorbehalten für ein gerechtes Gleichgewicht auf dem Balkan an- 
genommen. Jetzt wie damals betrachtet die Regierung diese Vorbehalte als 
von dem Friedensvertrage untrennbar. Sie wird auf friedlichem Wege 
unter Anwendung diplomatischer Mittel alle ihre Bemühungen darauf 
richten, daß der Bukarester Vertrag solche Verbesserungen erhalte, welche 
die Ruhe auf der Balkanhalbinsel und den Fortschritt der Balkanvölker 
sichern würden und gleichzeitig mit den Interessen des europäischen Frie- 
dens vereinbar wären. Der Konstantinopeler Frieden wird durch einen 
Handelsvertrag ergänzt werden, der bestimmt ist, die Entwicklung der beiden. 
Staaten zu fördern; die Verhandlungen für den Abschluß des Vertrages 
sind im Zuge. Bulgarien, das kaum die Waffen niedergelegt hat, wird die 
Aufgabe haben, in Friedensarbeit die Kriegswunden zu heilen. In der 
Erklärung wird sodann die Auflösung der Sobranje begründet, die nach 
dem Unglück, das den großen Siegen folgte, und nach den bedentenden 
Opfern nicht mehr das Volk repräsentierte und auseinandergehen mußte, 
um dem Volke, dem obersten Herrn seiner Geschicke, zu ermöglichen, sich 
über die Aufgaben der Zukunft auszusprechen. Die Regierung erachte es 
als ihre erste Pflicht, die absolute Freiheit der Wahlen zu sichern. 
16. November. (Sofia.) Die Selbstverteidigung der Regierung. 
In öffentlicher Versammlung führte Finanzminister Tontschew aus: 
Die Ursache des schweren Mißgeschicks, das Bulgarien getroffen habe, sei 
das Bündnis mit Serbien gewesen, welches in seinen Grundlagen verfehlt 
war. Sodann sprach Minister des Aeußern Ghenadiew in einer drei- 
stündigen Rede über die Ursachen des nationalen Unglücks: Als im Sep- 
tember 1912 die Türkei mobilisierte, erklärte der Generalrat trotz der 
Mängel, welche die Armee zeigte, er verbürge sich für den Sieg, der Krieg 
müsse aber kurz sein. Nachdem jedoch der Krieg ausgebrochen war, achtete 
die Regierung dieser Warnung nicht, sondern ließ die Friedensverhand- 
lungen in London in die Länge ziehen. Die Regierung, die vor und nach 
dem Kriege von vielen Seiten vor den illoyalen Absichten der Verbündeten 
gewarnt worden war, hätte rasch unter den von der Türkei nach der 
Schlacht bei Lüle Burgas angebotenen Bedingungen Frieden schließen 
müssen. Die Türkei verlangte damals nur, daß sie im Besitze der Dar- 
danellen und Konstantinopels belassen werde. Nach der Schlacht von Tscha- 
taldscha waren die Bedingungen schon weniger vorteilhaft, aber immer 
noch ausgezeichnet, und der Friede hätte geschlossen werden können. Da- 
mals sei er, Ghenadiew, im Lager von Tschataldscha gewesen und habe 
Danew geraten, Frieden zu schließen, indem er ihm die Gefahr eines An- 
griffes von serbischer, griechischer und türkischer Seite vor Angen führte.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.