Bulgarien. (Dezember 29.) 655
Die Regierung weigerte sich aber, den Frieden zu schließen, und erst auf
einen neuen Bericht der Generale Sawow und Fitschew hin, die die Not-
wendigkeit eines Waffenstillstandes begründeten, wurde dieser geschlossen.
In diesem Augenblick begann das Unglück Bulgariens. Die Regierung
wußte aus der glänzenden Lage, welche die bulgarischen Siege geschaffen
hatten, keinen Nutzen zu ziehen, und verstand es nicht, durch einen Friedens-
schluß mit der Türkei die Kräfte des Landes intakt zu halten und so weitere
Komplikationen zu vermeiden. Nichtsdestoweniger bot sich eine neue Chance:
Der Bankier Kaltschem war vom Hauptquartier nach Konstantinopel ge-
sandt worden und setzte dort die Uebergabe Adrianopels durch. Darüber
zeigte sich Ministerpräsident Geschow verletzt und drohte mit seiner De-
mission, da er sich nicht allein mit der Türkei verständigen wollte. Als
am orthodoxen Weihnachtsfeste General Sawow auf Einladung Nasim-
Paschas mit diesem und dem Minister des Aeußern Noradunghian eine
Unterredung hatte, worin beide türkische Staatsmänner in die Abtretung
Adrianopels einwilligten, ließ Geschow den Bericht Sawows über diese
Unterredung unbeantwortet. Beim Abbruch der Londoner Verhandlungen
hatte Bulgarien die Vorteile eingebüßt, die es vor Tschataldscha erlangt
hatte. So begann Bulgarien den zweiten Krieg gegen die Türkei, obwohl
die Generale davon abrieten. Nach dem Fall Adrianopels hätte der Friede
sofort unterzeichnet werden können. Die Regierung ließ sich jedoch durch
Schachzüge der Serben und der Griechen hinhalten, die Vorbehalte machten
zu dem einzigen Zweck, die Verhandlungen hinzuziehen und Bulgarien zu
erschöpfen. Ohne die Intervention Greys hätten die Verhandlungen ewig
dauern können. Ghenadiew schloß: Der Krieg mit Serbien und Griechen-
land ist nicht die Ursache des Unglücks Bulgariens gewesen, das Unglück
ist eine Folge der Art und Weise, wie der Krieg gegen die Türkei geführt
wurde. Das Volk und die Armee Bulgariens haben ihre Pflicht getan.
Seine Diplomatie war es, die alle Fehler begangen hat. Die jetzige Re-
gierung ist in einem Augenblick ans Ruder gelangt, da alles gefährdet
war. Sie hat die Hauptstadt vor der Invasion bewahrt, sie hat die Ehre
der Armee gerettet und von den Früchten ihrer Siege, was zu retten war.
Die Regierung erbittet das Vertrauen der Wähler, um dem Lande seine
Kraft wiedergeben zu können.
29. Dezember. Kosten der beiden Balkankriege.
Die Direktion der Oeffentlichen Schuld veröffentlicht eine Darstellung
des Standes der schwebenden Staatsschuld. Darin wird festgestellt, daß
der bulgarische Staatsschatz infolge der beiden Balkankriege in eine beträcht-
liche Verschuldung geraten ist. Die schwebende Schuld belief sich am
7. 20. Dezember aufs 720946 119 Franken. Darunter befinden sich 310052 788
Franken aus den für die Kriegskosten bewilligten Sonderkrediten, die durch
Emission von Schatzbons und durch Ausgabe von Noten der Bulgarischen
Nationalbank realisiert wurden. Ferner befinden sich in der genannten
Summe 55 Millionen Franken Ausfälle in den außerordentlichen Budgets
für Eisenbahnen und Häfen pro 1911/12 und 1912.13, von denen die auf
das erstere Jahr entfallenden 25 Millionen schon vor dem ersten Balkan-
kriege durch Schatzbons gedeckt wurden. Auf 300 Millionen Franken be-
läuft sich der Gesamtbetrag der für Requisitionen ausgegebenen Bonsz; sie
sollen mittels einer inneren, auf lange Sicht aufzunehmenden Anleihe ge-
deckt werden, deren sechsprozentige Obligationen die Requisitionsscheine er-
setzen würden. Ungefähr 210 Millionen Franken gelangen auf diese Weise
an 550000 Familien zurück. Die von den Dörfern geleisteten Requisitionen
wurden durchweg aus Ersparnissen der letzten guten Erntejahre aufgebracht.