Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Derisqe Reit und seine einzelnen Glieder. (Februar 11.) 63 
so lange enthalten, bis uns eine offizielle Benachrichtigung aus Gmunden 
zugegangen sein wird.“ (Siehe 12. Februar.) 
11. Februar. (Reichstag.) Chinesische Sechsmächte-Anleihe. 
Anfrage der Abgg. Dr. Müller-Meiningen, Liesching und 
Dr. Wiemer (Vp.): „Ist der Herr Reichskanzler bereit, über die letzten 
Vorgänge in Peking bezüglich des Zustandekommens der Sechsmächte-Anleihe 
Auskunft zu erteilen, insbesondere über die Verteilung der Beratungsstellen 
bei der Vergebung der Anleihe und deren Folgen?“ 
Geheimrat Lehmann: Zwischen der chinesischen Regierung und den 
Bertretern der Sechsbankengruppen ist ein Vertrag über eine Anleihe von 
25 Millionen Pfund Sterling für Reorganisationszwecke zustandegekommen. 
Die chinesische Regierung hat in Verbindung mit dieser Anleihe der An- 
stellung von drei ausländischen Beratern zugestimmt und für diese Zwecke 
vorgeschlagen, den Posten des Generalinspeklors der Salzverwaltung einem 
Dänen, den des Beraters für den Rechnungshof einem Italiener und die 
Direktion für die Staatsschuldenverwaltung dem Deutschen Rump zu über- 
tragen. Aus den Kreisen der an der Anleihe als Geldgeber interessierten 
Mächte ist darauf hingewiesen worden, daß bei dem Vorschlage der chine- 
sischen Regierung die eigentlichen Geldgeber — abgesehen von Deutschland — 
unberücksichtigt bleiben würden. Dieser Gesichtspunkt ist als beachtenswert 
anerkannt worden. Es sind daher unter den beteiligten Kabinetten Ver- 
handlungen darüber eingeleitet worden, in welcher Weise die Beraterposten 
unter die eigentlich geldgebenden Mächte zu verteilen seien. Deutschland 
nimmt dabei einen Posten für sich in Anspruch. Die Verhandlungen sind 
bisher nicht zum Abschluß gelangt. Es darf schließlich gegenüber entgegen- 
stehenden Preßnachrichten ausdrücklich betont werden, daß sich die Ein- 
wendungen gegen den ursprünglichen chinesischen Vorschlag in keiner Weise 
gegen die Persönlichkeit des Deutschen Rump richten. 
11. Februar. (Reichstag.) Dritter Tag der zweiten Beratung 
des Etats der Reichsjustizverwaltung. Preßberichterstattung. Kampf 
gegen die Schundliteratur. Verstümmelung der Klassiker. Straf- 
sucht der Gerichte. 
Abg. Dr. Oertel (K.): Ich will nur als Mann der Presse und des 
Schrifttums die Presse verteidigen gegen einige meines Erachtens zu 
sehr verallgemeinernde Beschuldigungen, die gegen sie erhoben worden sind. 
Die Oeffentlichkeit unseres Gerichtsverfahrens soll unangetastet bleiben. Sie 
ist eine Errungenschaft, an der auch wir angeblichen Reaktionäre festhalten. 
Tatsächlich ist aber doch die Oeffentlichkeit vielfach nur ein Schein. Für 
die meisten Persönlichkeiten wird die Oeffentlichkeit allein durch die Presse 
vermittelt. Abgesehen von einigen Kriminalstudenten oder von dem geistigen 
Pobel, der durch Gerichtsverhandlungen gekitzelt sein will, oder von den 
Personen, die ein besonderes Interesse an dem einzelnen Falle haben, ab- 
gesehen von diesen Ausnahmefällen wird die Oeffentlichkeit des Gerichts- 
verfahrens nur durch die Presse vermittelt. Manche Blätter behandeln aller- 
dings die Prozesse in einer Weise, die der Würde des Gerichts, der Würde 
der Presse und der Würde der Gesamtheit nicht angemessen ist. Ich er- 
innere Sie, es gibt Gerichtsberichterstattungen, in denen das Tribunal 
geradezu zur Szene gemacht wird, nicht zur ernsten Bühne, sondern zur 
Halbweltsbühne, zur Posse. Ich erinnere Sie daran, wie man die Mienen, 
die Schnurrbartspitzen, die Gesten der Richter schildert, wie man die Zu- 
schauerinnen und Zuhörerinnen, die dem geistigen Pöbel angehören, mit
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.