Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Nebersicht über die politische Eutwiclung des Jahres 1913. 799 
netts kompromittierende Marconiskandal, der auch das Unterhaus 
beschäftigte (S. 506, 509 f.). Immer mehr verbreitete sich die Über- 
zeugung, daß bei den im Jahre 1915 zu erwartenden allgemeinen 
Neuwahlen zum Parlament die liberale Partei zur Minderheit herab- 
gedrückt werden würde. Der im Herbst 1913 einsetzende Niedergang 
der Weltkonjunktur zeigte sich in den Zahlen des englischen Außen- 
handels schneller und beängstigender als in der deutschen Statistik. 
Die Präsidentenwahl vom 17. Januar stellte in Frankreich 
den bisherigen Ministerpräsidenten Poincaré an die Spitze der Re- 
publik. Damit war zugleich entschieden, daß das Bündnis mit Ruß- 
land stärker betont und die Entente cordiale nach Möglichkeit aus- 
gedehnt werden würde. Eine schärfere Luft hatte schon während 
des ganzen einjährigen Ministeriums des jetzt zum Präsidenten er- 
hobenen ehrgeizigen Staatsmannes zu uns herübergeweht; besonders 
war die Reise des Ministerpräsidenten Poincaré nach Petersburg 
und Moskau im August 1912 zu einer Kräftigung der Militär- 
konvention und zu Verabredungen über zusammenhängende Opera- 
tionen der russischen und französischen Kriegsflotten benutzt worden. 
Die dadurch herbeigeführte allmähliche Steigerung des franzöfischen 
Chauvinismus fand im Laufe des Monats Januar durch die anti- 
deutschen Reden des Reichstagsabgeordneten Wetterlé über die 
Situation in Elsaß-Lothringen neue Nahrung (S. 527). Der Eifer, 
das Offizierkorps der Reserve zu verstärken, hatte den Kriegsminister 
Millerand sogar zu dem politischen Mißgriff verleitet, auch den 
aus der Dreifusaffäre unrühmlich bekannten Oberstleutnant du Paty 
de Clam wieder anzustellen, weshalb er aber vom Ministerrat zur 
Demission gezwungen wurde. In dem neuen Ministerium, das der 
Präsident bildete, hatte Briand den Vorsitz und das Innere, der 
anerkannte Fachmann Etienne den Krieg, Barthou die Justiz und 
Klotz die Finanzen zu verwalten. Es war also ein Kabinett, das 
dem ein Jahr früher unter Poincarés Vorsitz gebildeten „zweiten 
großen Ministerium der dritten Republik“ an Autorität nicht wesent- 
lich nachstand. Von dem umfassenden Programm, für das es die 
Zustimmung einer überwältigenden Majorität der Kammer gewann, 
traten aber zunächst in den Senatsverhandlungen die Wahlreform-
	        
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