Nebersicht über die politische Entwichlung des Jahres 1913. 801
Kammer zogen sich vom 2. Juni bis zum 20. Juli hin, also bis
zu einem Zeitpunkt, wo in Deutschland das Wehrgesetz und die
Deckungsvorlage bereits vollständig erledigt waren. Auch war die
Majorität nicht so überwältigend wie bei der Annahme der Heeres-
vermehrung im deutschen Reichstag. In der Deputiertenkammer
stimmten 358 Abgeordnete für die Wiederherstellung der dreijährigen
Dienstzeit. Dagegen fand das Dreijahrsgesetz im Senat am 7. Au-
gust die Zustimmung von 244 gegen 36 Senatoren. Gleichzeitig
wurde auch die Konzentration der Flottenstreitmacht in den Ge-
wässern des Mittelländischen Meeres bekannt gegeben und vollzogen.
Nicht ohne Widerspruch wurde an der atlantischen Küste der alt-
berühmte Flottenstützpunkt Rochefort aufgegeben.
Bei den Verhandlungen über die dreijährige Dienstzeit spielte
natürlich die Furcht vor der numerischen überlegenheit der deutschen
Armee und die Hilfe, die man von dem verbündeten Rußland er-
warten dürfe, eine große Rolle. Die französische Regierung berechnete
die deutsche Friedenspräsenzstärke nach Durchführung der neuen Wehr-
vorlage auf 870000 Mann, denen Frankreich bei Fortdauer der
zweijährigen Dienstzeit höchstens 540 000 Mann entgegenstellen könne,
während zunächst nur 480000 Mann unter den Fahnen gehalten
wurden. Die Verlängerung des Dienstes um ein Jahr würde die
französische Armee im Frieden mit einem Schlage auf 720000 Mann
bringen. Um eine entsprechende Vermehrung der verfügbaren Offi=
ziere und Unteroffiziere herbeizuführen, bewilligten Senat und De-
putiertenkammer auch die geforderte Erhöhung der Gehälter (S.567,
577). Zu verstärktem Grenzschutz wurde die Bildung eines neuen
Armeekorps (des XXI.) genehmigt. Von Rußland hatte man die
Zusage, daß an der Weichsel zwei neue Armeekorps aufgestellt und
die Grenzverteidigung durch strategische Bahnen gesichert werden
sollte, zu deren Bau eine in Frankreich aufzunehmende Anleihe Ver-
wendung finden sollte (S. 550, 568). Die französische Heeresver-
mehrung erschien daher zugleich als ein Hebel zu stärkerem Druck
auf Deutschland von Osten her. So kam man leichter darüber hin-
weg, daß die einmaligen Ausgaben für Kasernenbauten, Ausrüstung
und Bewaffnung noch höher sein müßten als in Deutschland, da
man ja auf die dortige Erhöhung der Präsenzstärke um 160000
Europäischer Geschichtskalender. LIV. 51