Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

68 Bas Deutsche Reich und seine rinzelnen Glieder. (Februar 12.) 
Prinzen hat bekanntlich auf seine Ansprüche auf Hannover niemals ver- 
zichtet. Aber selbst wenn er es täte, so wäre es noch sehr zweifelhaft, ob 
die Welfen in Hannover daraufhin ihre Bestrebungen und Hetzereien ein- 
stellen würden. Auch ein erneuter Verzicht des Bräutigams auf Hannover 
kann in dieser Beziehung keinen reinen Tisch schaffen. Er wird es nicht 
hindern können, daß die hannoverschen Welfen in dieser Verbindung der 
Herrschergeschlechter und in der dann voraussichtlichen Rückkehr der Welfen 
nach Braunschweig einen Erfolg ihrer Agitation erblicken, der sie ermutigt, 
auch auf ein Losreißung Hannovers von Preußen zu hoffen und hinzu- 
arbeiten. Deshalb hat Bismarck wiederholt betont, daß ein Verzicht der 
welfischen Thronprätendenten ihm nicht genügen könne. Sie müßten viel- 
mehr nicht nur ihren Freunden und Anhängern in Hannover klar und 
deutlich erklären, daß sie jede weitere welfische Agitation verurteilen, son- 
dern diese mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, unterdrücken 
und öffentlich jede Unterstützung verweigern. Erst wenn der zukünftige 
Schwiegersohn des Deutschen Kaisers diese Verpflichtung übernimmt und 
tatsächlich ausführt, kann die heutige Verlobung zugleich eine Beseitigung 
der Welfenfrage bedeuten."“ 
12. Februar. (Berlin.) Im deutschen Landwirtschaftsrat hält 
der Kaiser einen Vortrag über die Erfolge der Meliorationen auf 
seinem westpreußischen Gute. 
Vielbesprochen wurde der Passus: „Mit einem Teil des lebenden 
Inventars will ich demnächst ein Vorwerk besetzen, um so mehr als ich 
meinen Pächter hinausgeschmissen habe (lebhafte Heiterkeit), der nichts mehr 
taugte, und das ich in eigene Regie übernehmen will.“ (Heitere Zustimmung.) 
(Siehe 20. Februar.) 
12. Febrnar. (Hannover.) Brief des Herzogs von Cumber- 
land an den Führer der Welfen, Reichstagsabgeordneten Frhrn. 
v. Schele-Schelenburg: 
„Lieber Schele! Es beglückt mich, Ihnen und den treuen Han- 
noveranern, die eben in so erhebender Weise an unserem tiefsten Schmerz 
teilgenommen haben, heute die freudige Botschaft machen zu können, daß 
unser geliebter Sohn Ernst August sich mit Ihrer königlichen Hoheit, der 
Prinzessin Viktoria Luise, der Tochter Sr. Majestät des Deutschen Kaisers 
und Königs von Preußen, verlobt hat. Wir flehen zu Gott, daß der Bund 
dieser deutschen Fürstenkinder, der aus eigenster Neigung entsprungen und 
mit dem Segen der Eltern geschlossen, nun gedeihen möge zum Segen der 
Verlobten und unserer beiden Häuser.“ 
12. Februar. (Reichstag.) Der sozialdemokratische Wahl- 
rechtsantrag. 
Er will dem Artikel 3 der Reichsverfassung folgenden Zusatz geben: 
„In jedem Bundesstaat muß eine auf Grund des allgemeinen, gleichen, 
direkten und geheimen Wahlrechts gewählte Vertretung bestehen. Das Recht, 
zu wählen und gewählt zu werden, haben alle über 20 Jahre alten Reichs- 
angehörigen ohne Unterschied des Geschlechts in dem Bundesstaat, in dem 
sie ihren Wohnsitz haben. Die Zustimmung dieser Vertretung ist zu jedem 
Gesetz und zur Feststellung des Staatshaushaltsetats erforderlich.“ — Es 
erfolgt Ablehnung. 
12. Februar. (Gannover.) Haltung der Welfischen Partei.
	        
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