810 Nebersicht über die pelitische Gutwichlung des Jahres 1913.
der Anfang einer neuen Ermannung des osmanischen Staates war,
ist eine Frage der Zukunft. Zunächst bedeutete es den Wieder-
ausbruch des Krieges, dessen Leitung Enver Bey übernehmen mußte.
Da aber auch jetzt kriegerische Erfolge ausblieben und Adrianopel
nach tapferer Verteidigung am 26. März kapitulierte, so blieb den
Patrioten nichts übrig, als die Friedensvermittlung der Großmächte
anzunehmen. Hatte sich früher die Londoner Botschafterreunion ein-
seitig zur Unterstützung der Forderungen des Balkanbundes her-
gegeben, so bedeutete die gemeinsame Note der Mächte vom 31. März
eine wesentliche Ermäßigung der von den Siegern aufgestellten
Forderungen (S. 634, 646). Besonders sollte das ganze Gestade des
Marmarameeres der Türkei verbleiben. Aber auch dieser Mediations-
versuch erwies sich als vergeblich, da die verbündeten Balkanmächte
ihn nicht ohne „Vorbehalt“ annehmen wollten (S. 646 f.). Der
Krieg ging also weiter, brachte aber keine für die Türkei günstige
Wendung. Die Verteidigung des ganzen Westens der Balkanhalb-
insel blieb den lokalen Gewalten überlassen, gegen die Griechenland
ein leichtes Spiel hatte, während sich die Festung Skutari gegen
die sie belagernden Montenegriner und Serben sehr widerstands-
fähig zeigte. Aber das Ränkespiel des aus dem eroberten Janina
nach Skutari geflüchteten Essad Pascha machte es zweifelhaft, ob
der Türkei aus der Tapferkeit ihrer in Nordalbanien kämpfenden
Truppen ein politischer Vorteil erwachsen würde. Da durch die
Londoner Botschafterreunion die Schaffung eines selbständigen alba-
nischen Staates gesichert war, so trieb Essad Pascha, der das Ober-
haupt eines albanischen Stammes war und seit 1908 durch An-
schluß an die jungtürkische Partei auch in Konstantinopel eine Rolle
gespielt hatte, jetzt eine verwegene und scheinbar widerspruchsvolle
Politik auf eigene Hand. Er ermordete den ihm übergeordneten
Kommandanten von Skutari, Hassan Riza (S. 675), und knüpfte
mit den Montenegrinern Verhandlungen über die Anerkennung
eines albanischen Staates unter seiner Oberhoheit an. Um das für
seine Herrschaft ausersehene Stück Albaniens militärisch schützen
zu können, kam es ihm in erster Linie darauf an, mit der Garnison
Skutaris das freie Feld zu gewinnen. Deshalb übergab er am
23. April die Festung, von deren weiterer Belagerung die Serben