Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Des Derisqhe Reiq und seine eimelnen Glieder. (Februar 19.) 77 
wir aus tiefster Seele wünschen, leiden werde. Der Herr Reichskanzler hat, 
als er einmal hier anwesend war, in einer glücklichen Stunde das richtige 
Wort gesprochen, daß die Erinnerung an den Jammer unserer Religions- 
kämpfe zu tief im deutschen Volke sitze, als daß es wünschen könnte, auch 
nur die Möglichkeit einer Wiederkehr solcher Kämpfe zu schaffen. Und nun 
unser Hauptgrund! Der Orden der Gesellschaft Jesu gilt für uns als der 
Anwalt jener Bestrebungen der römischen Kurie, die dahin gehen, daß das 
Gesetz der Kirche über dem Gesetz des Staates stehe. Der von der 
Kurie oftmals zurückgestellte, aber niemals ganz aufgegebene Anspruch, der 
immer wieder dann angemeldet wird, wenn die römische Kurie den Staat 
schwach und zurückweichend glaubt, wird nach unserer Ueberzeugung in 
erster Linie vom Jesuitenorden vertreten. Das ist der Grund, aus dem 
wir gerade in jetziger Zeit nicht die Hand zu seiner Rückkehr bieten können. 
Abg. Dr. Müller-Meiningen (Fortschr. Vp.): Namens meiner poli- 
tischen Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben: Die Fraktion der 
Fortschrittlichen Volkspartei erkennt an, daß der Wortlaut des § 1 des Ge- 
setzes vom 4. Juli 1872 der erwünschten Klarheit entbehrt, und daß diese 
Unklarheit durch die Auslegung des Bundesrats nicht beseitigt worden ist. 
Ein kleinerer Teil meiner politischen Freunde wird für die Aufhebung des 
§ 1 vor allem deshalb stimmen, weil er es als ein Ausnahmegesetz be- 
trachtet, und weil er die Anschauung vertritt, daß die Aufrechterhaltung 
des Restes des Gesetzes bei der ihm gegebenen Auslegung ohne praktische 
Bedeutung sei. Die große Mehrheit der Fraktion lehnt dagegen die Auf- 
hebung des §1 des Gesetzes ab. Der Charakter des Jefsruitengesetzes als 
eines Ausnahmegesetzes wird verneint in der Erwägung, daß die Regelung 
der gesetzlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche auch sonst zu in- 
dividualisierender Behandlung zwingt. Die überwiegende Mehrheit meiner 
politischen Freunde befürchtet von der Aufhebung des Gesetzes eine Störung 
des konfessionellen Friedens und sieht sich in dieser Auffassung bestärkt 
durch die sonstigen zahlreichen Versuche der letzten Zeit, die Grenzen 
zwischen staatlicher und kirchlicher Autorität zugunsten der letzteren zu 
verschieben. Sie betrachtet den Orden der Gesellschaft Jesu nach seiner 
Satung, nach seiner Entwicklung und nach seiner fast 400jährigen Tätig- 
keit als eine Organisation zur Bekämpfung Andersgläubiger. 
Sie besorgt von der ihm vorgeschriebenen Tätigkeit auf dem Gebiete des 
Unterrichts und der Erziehung eine schwere Schädigung unserer Jugend 
und erblickt in dem von der Ordenssatzung geforderten unbedingten Ge- 
horsam gegen die Oberen eine schwere Gefahr für den Staat. Sie ver- 
schließt sich der Einsicht nicht, daß die Aufhebung des Gesetzes dem Orden 
durch die Gewährung des Schutzes des § 166 des Reichsstrafgesetzbuchs 
geradezu eine privilegierte und bei seinen Tendenzen besonders bedenkliche 
Stellung verleihen würde. Sie befürchtet endlich, daß die durch die Auf- 
hebung des Reichsgesetzes bedingte Verpflanzung des Kampfes in die Einzel- 
staaten nicht zu einer Abschwächung, sondern zu einer Verschärfung des- 
selben führen würde. Denn darüber besteht in der Fraktion der Fort- 
schrittlichen Volkspartei volle Uebereinstimmung, daß auch nach einer etwaigen 
Aufhebung des Gesetzes die Zuständigkeit der Einzelstaaten zur Regelung 
des Verhältnisses des Ordens der Gesellschaft Jefu aufrechterhalten bleibe. 
Abg. Mertin (Rp.): Wenn ich namens meiner Freunde erkläre, daß 
wir gegen den Antrag des Zentrums auf Aufhebung des Zeguiten- 
gesetzes stimmen werden, dann möchte auch ich voranstellen, wie es die 
Herren zum Teil schon getan haben, daß wir es ganz entschieden ablehnen, 
hier Katholizismus und Jesuiten zu identifizieren und mit der Bekämpfung 
des Jesuitenordens irgendwie einen Angriff gegen die katholische Kirche als
	        
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