60 D## Ventssche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 31.)
und nicht im Wege der Ausnahmegesetzgebung. Offen gelassen hat er die
Frage der Berufsvereine, die er als noch nicht spruchreif bezeichnete; er hat
auf die Revision des Strafgesetzbuches hingewiesen und generell bemerkt,
daß bei dieser Revision natürlich auch die Frage des Schutzes der persön-
lichen Freiheit neu geprüft werden muß, und schließlich eine Denkschrift in
Aussicht gestellt. Wir haben in unserer Resolution bestimmte Punkte be-
zeichnet, worüber die Denkschrift Auskunft geben und bezüglich deren eine
Stellungnahme der verbündeten Regierungen erfolgen möge. Von bestimmten
Anträgen sehen wir, wie bei der Zaberner Interpellation, ab, weil wir
angesichts der bestimmten Umgrenzung des Themas durch den Reichskanzler
dem Rate des Grafen Westarp folgen und die Initiative der verbündeten
Regierungen abwarten wollen. Der Antrag der Deutschkonservativen greift
einen bestimmten Punkt, das Streikpostenstehen, heraus und verlangt dessen
Verbot. Wir lehnen den konservativen Antrag ab. Man hat sich hier im
Hause auf die Rede bezogen, welche der Abg. Röchling am 13. Januar im
preußischen Abgeordnetenhause gehalten hat. Mein Parteigenosse Rochling
hat gesagt, die Gewährleistung eines besseren Schutzes der Arbeitswilligen
sei notwendig, er werfe die Frage auf, ob es dazu eines Gesetzes bedürfe;
dann aber hat er über das Streikpostenstehen eine bemerkenswerte Aus führung
gemacht, auf die ich, da er einer alten industriellen Familie des Westens
angehört, die Aufmerksamkeit lenken möchte. Er führte aus, wenn es Rechtens
sei, daß im Falle der Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicher-
heit die Polizei das Recht und die Pflicht zum Einschreiten habe, wie das
das Oberverwaltungsgericht anerkannt habe, so erscheine für Preußen wenig-
stens ein besonderes Verbot überflüssig. Dazu nehmen Sie die Verhand-
lungen der sächsischen Kammer, wo Graf Vitzthum und der Justizminister
erklärt haben, daß das Koalitionsrecht erhalten werden müsse, daß ein Grund
zur Aenderung der Gesetzgebung nicht vorliege, daß die persönliche Freiheit
schon auf Grund der bestehenden Gesetze geschützt und auch dem Koalitions-
zwang schon heute auf demselben Wege begegnet werden könne. Ganz ähnlich
hat sich auch im preußischen Landtage Minister von Dallwitz ausgesprochen.
Der Rechtszustand ist demnach jetzt so, daß die Polizei in allen Fällen, wo
die persönliche Freiheit angetastet und die öffentliche Ruhe gestört wird, in
der Lage ist, vorzugehen. Es ist auch entschieden worden, daß da, wo Ge-
fahr vorhanden ist, auch vorbeugend das Streikpostenstehen verboten werden
kann. Ein Verbot des Streikpostenstehens durch besonderes Gesetz ist also
nicht erforderlich. Wir bekämpfen allerdings den Koalitionszwang und ver-
langen, daß ihm gegenüber die staatlichen Machtmittel in vollem Umfange
angewendet werden. Im Laufe der Jahre haben sich die Machtmittel der
Organisationen und ihrer Anwendung verschärft, so daß es unter Umständen
nötig wird, einheitliche Ordnung zu schaffen, damit die nötigen Vorbereitungen
getroffen werden, und bei vorauszusehenden Unruhen die nötigen Macht-
mittel rechtzeitig zur Stelle sind. Dadurch wird sich die Lust zu Unruhben
und zu Gesetzwidrigkeiten legen. Auch eine schnelle Justiz ist nötig, die
auch in anderen Fällen nur empfohlen werden kann. Auf diesem Boden
steht auch die Land tagsfraktion, und sie hat deshalb einen entsprechenden
Antrag eingebracht. Der Abg. von Bennigsen hat bei Beratung des Bür-
gerlichen Gesetzbuches die Regelung der Verhältnisse der Berufsvereine ge-
wünscht. Das war nicht möglich. Jetzt ist es zu bedauern, daß man nicht
rechtzeitig an diese Frage herangetreten ist. Man hätte ihnen die Rechts-
sähigkeit geben, aber auch die Haftbarkeit auferlegen müssen. Selbst Graf
Westarp hat diese Frage als spruchreif bezeichnet. Man sollte prüfen, ob
dieses Problem nicht doch zu lösen ist. Wichtig ist auch die Regelung der
Frage des wirtschaftlichen und politischen Bonkotts. Letzteren üben nicht