82 Has Nenutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 16.—19.)
zum Abschluß gekommen ist. Ganz ähnlich ist es mit dem Jugendgerichts-
gesetz. Hierbei ist es nicht die Regierung, die die Sache verzögert. In
allen diesen Dingen werden in der Oeffentlichkeit so viele Bedenken und
Wünsche laut, daß die endgültige Verabschiedung im Plenum auf große
Schwierigkeiten stößt.“
Abg. Dr. Ablaß (Fortschr. Vp.): „Ich habe mich zunächst gegen den
Abg. Belzer zu wenden, der gemeint hat, man brauche den sechsten Reichs-
anwalt nicht zu bewilligen, weil ja immer noch die Möglichkeit bestände,
daß der oberste Kolonialgerichtshof dem Reichsgericht als besonderer Senat
aungegliedert wird und man dann diesem Senat noch weitere Arbeiten zu-
weisen könne. Wie dadurch eine Entlastung der Reichsanwaltschaft ge-
geben sein soll, ist mir völlig unerfindlich, ich bitte den Reichstag, den
sechsten Reichsanwalt möglichst bald zu bewilligen. Bezüglich der An-
gestellten bei der Rechtsanwaltschaft bin ich mit dem Staatssekretär der
Meinung, daß die erforderliche Regelung besser durch einen Tarifvertrag
als auf dem Wege der Gesetzgebung erfolgen würde. Dem österreichischen
Beispiel bezüglich der raschen Erledigung der Prozesse müssen wir skeptisch
gegenüberstehen; wie im gewöhnlichen Leben vielfach das „Billig und
Schlecht“ gilt, so in der Rechtspflege das „Schnell und Schlecht“. Ein
allgemeines Vorurteil sollte man gegen die Novellengesetzgebung nicht hegen.
Die stärkere Beteiligung des Arbeiterstandes an dem Ehrenamt des Schöffen
und Geschworenen ist bis jetzt nur in der Theorie und im platonischen
Sinne vorhanden; diese Beteiligung sollte viel stärker gefördert werden,
ebenso müßte endlich der Stand der Volksschullehrer den Schöffengerichten
zugeführt werden. Endlich sollte man doch auch an die Mitwirkung der
Frau bei der Justizpflege in den Schöffengerichten denken. In dem Falle
Knittel hat sich der preußische Justizminister ja im Abgordnetenhause ge-
äußert; er hat das Verhalten des Gerichtspräsidenten gerügt, und es wäre
nur zu wünschen gewesen, daß auch das Verhalten des Staatsanwalts in
gleicher Weise als keineswegs ganz einwandfrei charakterisiert worden
wäre. Es muß darauf hingewirkt werden, daß die drei Elemente der
Rechtsprechung, Richterstand, Staatsanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft, ver-
trauensvoll zusammenarbeiten; in der Praxis hat aber die Rechtsanwaltschaft
allen Grund, über Mängel in dieser Beziehung zu klagen. In einem
Falle, den auch schon der Abg. Kanzow im preußischen Abgeordnetenhause
erwähnt hat, ist von der Staatsanwaltschaft von Dortmund die offizielle
Erhebung der Klage wegen Beleidigung des Anwaltsstandes durch die Presse
abgelehnt und auf den Weg der Privatklage verwiesen worden; in der Be-
gründung hieß es, die Erörterungen könnten vielleicht zu Feststellungen
führen, die dem Anwaltsstande nicht gerade zum Vorteil gereichen würden.
Gegen diese Beleidigung des gesamten Anwaltsstandes muß ich hier den
allerschärfsten Protest erheben. Wenn man an einer hohen beamteten Stelle
so auftritt, dann wird die Anwaltschaft ein vertrauensvolles Zusammen-
arbeiten mit den andern Faktoren der Rechtsprechung in Zukunft ablehnen.
(Sehr richtig!) Auch der Oberstaatsanwalt und der Justizminister lehnten
ein Einschreiten ab, da kein öffentliches Interesse vorliege. In einem frei-
sinnigen schlesischen Blatt erschien kürzlich ein Artikel „Bauernfang“. Wegen
dieser Ueberschrift erhob der Staatsanwalt Anklage im öffentlichen Interesse
wegen Beleidigung eines konservativen Agitators. Der Angeklagte wurde
natürlich freigesprochen. Die Vorschriften über die Pfändbarkeit des Dienst-
einkommens der Arbeiter und Privatangestellten passen in keiner Weise mehr
für die heutige Zeit. Das unpfändbare Einkommen müßte mindestens auf
1800 Mark erhöht werden. Notwendig ist die Förderung der gemeinnützigen
Rechtsauskunftsstellen. Das preußische Preßgesetz mut möglichst bald neu